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Thema: Sturer Autist ohne Zeitgefühl - was tun? (http://autismus.ra.unen.de/topic.php?id=2717)


Geschrieben von: Stevi1X am: 01.03.09, 22:01:07
Hallo,

unser Sohn ist 12 Jahre alt und hat das Asperger-Syndrom.
Nachdem wir das Schulproblem nun in den Griff bekommen haben (er geht jetzt in eine Körperbehindertenschule), gibt es immer noch eklatante Probleme mit seiner Sturheit und vor allem seinem Zeitgefühl. Unser Sohn hat erhebliche Probleme mit der Selbststeuerung. Man muss ihm fast alles vorgeben, was er als nächstes machen soll. Er kommt zu Terminen immer zu spät, kommt nicht rechtzeitig zur Schule, wird einfach nie fertig, wenn man irgendwo rechtzeitig hin muss. Unsere ganze Familie leidet darunter. Dass macht uns noch wahnsinnig. Wir haben fast keine Lust mehr mit ihm noch irgendwo hinzufahren, weil er einfach immer für alles eine Ewigkeit braucht. Manchmal müssen wir ihn deshalb einfach bestrafen. Dann gibt es Computerverbot. Dann heult und jammert er einen die Ohren voll, dass man in Versuchung gerät die Sanktion wieder aufzuheben. Es ist einfach nicht mit einem normalen Kind vergleichbar. Bei seinem kleinen Bruder helfen Sanktionen fast immer.
Wir waren schon bei verschiedenen Psychologen. Bisher konnte uns jedoch keiner weiterhelfen, was die Zeiteinteilung und Sturheit anbelangt.
Unser Sohn braucht auch nur sehr wenig Schlaf. Er ist abends auch nicht ins Bett zu bekommen, weil ihm ständig noch irgend etwas durch den Kopf geht, was er unbedingt vor dem Schlafengehen noch erledigen muss.
Es selbst sagt, dass er auch gerne seine Zeit anders einteilen möchte um Dinge rechtzeitig erledigen zu können, aber es funktioniert einfach nicht. Er leidet auch selbst unter dieser Problematik.

Gibt es denn keine Möglichkeit solche Autisten in den Griff zu bekommen? Was habt ihr für Patentlösungen in solchen Fällen. Gibt es hierfür Therapien oder Strukturierungshilfen die vielleicht weiterhelfen?
Kennt ihr hierzu evtl. auch einschlägige Literatur?
Für eure Hilfe wäre ich euch sehr dankbar.


Geschrieben von: haggard am: 01.03.09, 22:20:06
Zitat:
Gibt es denn keine Möglichkeit solche Autisten in den Griff zu bekommen?

nö. du schriebst, dass euer sohn sehr wenig schlaf benötige. dachte ich über mich auch mal, dass mir 2 stunden nächtens genügen würden. funktionierte auch. leistungsfähig war ich trotzdem - aber auch dauermüde. besonders schnell war ich in dieser zeit wahrscheinlich nicht. wenn ihr wisst, dass euer sohn eine gewisse vorbereitungszeit benötigt, solltet ihr ihm diese auch zugestehen. das würde es euch und eurem sohn leichter machen; alle wären zufrieden = kein zeitdruck.

stellt ihr hohe ansprüche an eure kinder (da du von sanktionen schriebst)?

warum sei euer sohn stur? seid ihr eltern vielleicht (auch) stur?


Geschrieben von: drvaust am: 01.03.09, 22:37:11
Was meinst Du mit Sturheit? Kannst Du das erklären, Beispiele?
Hat er genügend Zeit, um alles zu erledigen? Vielleicht braucht er viel länger, als andere.
Kann er seine Tätigkeiten rechtzeitig planen und planmäßig durchführen, oder muß er oft schnell auf Veränderungen reagieren?
Zitat von Stevi1X:
Gibt es denn keine Möglichkeit solche Autisten in den Griff zu bekommen?
Diese Formulierung halte ich für bedenklich. Man bekommt Probleme in den Griff, Maschinen, auch Tiere, aber Menschen?
zwinkern Bitte verstehe das nicht als persönliche Kritik. Das sind nur meine Fragen und Meinungen.

Ich habe auch Probleme mit der Zeit und Pünktlichkeit. Das liegt zum einen daran, daß ich mich manchmal an einer Sache 'festbeiße' und dann die Zeit vergesse. Hauptsächlich liegt das an meiner Langsamkeit, ich kann nicht so schnell wie andere. Dadurch ist ein normaler Zeitablauf für mich ein Gehetze. Ich brauche meistens, besonders für Bewegungen, viel länger als andere. Ich mußte mich damit abfinden, daß ich nicht so viel schaffe, wie andere (teilweise kann ich das durch denken ausgleichen).
Soviel erstmal. Kannst Du genaueres schreiben?


Geschrieben von: Andreas K. am: 01.03.09, 23:40:37
Am besten funktioniert bei mir die Pünktlichkeit, wenn die äußere Zeit (Uhrzeit, gesellschaftliche Anforderung) und die innere Zeit (Zeitgefühl, Tätigkeitswünsche) ) übereinstimmen. Da ist am besten im allein verbrachten Urlaub der Fall.Da weiß ich manchmal auf die Minute, wie spät es ist, ohne auf die Uhr zu sehen.
Regelmäßigkeit in den Zeitabläufen hilft auch etwas. Muß Euer Sohn immer zur selben Zeit wo sein (Schule etc.), oder kann es sein, daß ihm die Anforderungen wirr erscheinen ?
Falls letzteres so ist, macht ihm einen Plan und versucht, Sachen so zu legen, daß die "Spitzen" aus Hektik, aber auch aus Nichtstun abgeflacht werden. Laßt ihn dabei selbst Vorschläge machen!
Sehr wichtig ist,rechtzeitig mit den Dingen anzufangen. Fragt ihn doch, wann er anfangen würde, um mit x zum Zeitpunkt y fertig zu sein. Verschiedene Menschen haben halt verschiedene Zeitrhythmen und Geschwindigkeiten.
Druck von Außen zu machen, dürfte bei Menschen mit autistischen Persönlichkeitszügen die Problematik eher verschlimmern.


Geschrieben von: zoccoly am: 02.03.09, 00:06:27
Ich habe lernen müssen, dass mein Sohn nur eine Information verarbeitet, ich ihm eine Zeitschiene vorgeben muss und nicht etwas sofort verlangen kann.Als ich das endlich gelernt habe, hat sich die Familiensituation schlagartig verbessert. Heute bin ich sehr stolz auf meinen Sohn. Er brauchte halt nur einige Rahmenbedingungen und seine Rückzugsmöglichkeit.


Geschrieben von: Stevi1X am: 02.03.09, 20:20:56
Hallo,

also die Ansprüche haben wir, seitdem feststeht, dass unser Sohn ein Aspi ist, ziemlich zurückgefahren. Wir geben ihm genügend Zeit und kündigen ihm alles rechtzeitig vorher an.
Beispiel: Er steht um 6.15 Uhr auf. Um 7 Uhr wird er vom Schulbus abgeholt. Dann sagen wir ihm mehrmals, dass er um 6.30 Uhr ins Bad gehen und sich waschen soll. Macht er aber nicht. Sondern erst um 6.45 Uhr. Manchmal schafft er es dann noch in 1 Minute etwas zu Frühstücken. Meistens kommt er aber nicht mehr zum Essen, weil schon der Bus vor der Tür steht.
Abendes ist es das gleiche Spiel. Er will einfach nicht ins Bett gehen, sondern muss in Google-Earth sich Kläranlagen ansehen und ausdrucken (das ist sein Spezialgebiet - so ziemlich das Einzige was ihn interessiert). Dass wollen wir ihm natürlich auch nicht nehmen. Bloß alles hat seine Grenzen.


Geschrieben von: Stevi1X am: 02.03.09, 20:41:43

Hallo,

ach ja, dass mit der Sturheit hab ich vergessen zu erklären.
Ich meinte damit, dass er einfach nicht einsehen will, dass man sich doch hin und wieder mal einfach nach der Uhrzeit richten muss. Er wirft uns dann immer vor, dass er sein eigenes Leben führen möchte, wo keine Zeit vorgegeben ist. Er findet es gemein, dass er immer alles zu einer bestimmten Zeit machen muss und sieht dies einfach nicht ein.
In den Schulferien darf er aber auch mal seinem eigenen Zeitplan nachgehen. Dann steht er um 12.00 Uhr auf und isst von 15.00 bis 17.00 Uhr mittag und geht in der Nacht um 3.00 Uhr ins Bett. Bitte versteht, dass wir dies natürlich nur an ein paar wenigen Tagen zulassen können.

Dass mit der einen zu verarbeitenden Information u. der Zeitschiene, wie zoccoly schreibt, hört sich interessant an. Wie könnte denn das morgendliche Aufstehen nach so einer Zeitschiene bei unserm Sohn und für alle gestressten Familienmitglieder vereinfacht werden.


Geschrieben von: haggard am: 02.03.09, 20:48:24
die aufstehzeiten könnten variiert werden durch langfristiges probieren, indem er zeitweise immer etwas früher aufsteht oder etwas später, bis eine zeit gefunden ist, die für ihn passt. wenn ich nicht aus dem knick komme, weil ich über monate ein massives schlafdefizit mit mir herumschleppe, benötige ich mitunter eine vorlaufzeit von zwei stunden. mir selbst kommt es dann nicht so vor, als wäre bereits so viel zeit vergangen - die uhren zeigen leider das gegenteil an. würde in solchen phasen bei mir druck aufgebaut werden, würde von außen betrachtet sich bei mir auch nichts regen. innerlich bin ich durcheinander und gelähmt und verfalle allmählich in panik nichts mehr rechtzeitig schaffen zu können. abläufe plane ich vorher geistig durch, wenn ich dabei ständig unterbrochen werde, muss ich damit ständig von vorne beginnen. vielleicht hilft ein letzter signalton, sodass er dann weiß, "jetzt" die schritte durchzuführen, die durchzuführen sind? (letztes weckerklingeln vielleicht?)

stur finde ich das nicht. ich trage aus prinzip keine uhren mit mir herum ("zeitlose menschen sind glücklicher"). die zeiteinteilung ist mit das schrecklichste, was sich die menschen haben einfallen lassen können.


Geschrieben von: zoccoly am: 03.03.09, 15:35:33
Morgens benötige ich selbst 1,5 - 2,0 Stunden. Diese Zeit gab ich auch meinem Sohn. Dadurch war es egal, ob er eine Viertelstunde später ins Bad ging. Auch beim gemeinsamen Frühstück konnten wir rumbummeln. Ich habe die Zeit als sehr entspannt angesehen. Du musst einfach ausprobieren, wie viel Zeit dein Sohn braucht. Allerdings war die Zeit wirklich nur für das Aufstehen, Duschen und Frühstücken vorgesehen. Der PC blieb morgens aus.
Abends hatten wir eine feste Zeit ausgemacht, wann er sich fertig machen muss. Eine halbe Stunde vorher habe ich den Hinweis darauf gegeben. Er hat sich dann immer noch gefreut, dass er noch ein wenig Zeit hat.
zum Thema, alles einzeln und nacheinander,
Ich hatte mitbekommen, dass mein Sohn fast die Kontrolle verlor, wenn ich ihm sagte." Schalte bitte den PC aus. Hast du eigentlich schon den Hasen gefüttert? und denke daran, du wolltest noch den Spüler ausräumen."
Den Stress hatte ich dann selbst zu verantworten. Viel harmonischer ging es zu, wenn ich die drei Sachen trennte und siehe da, es wurde auch erledigt.


Geschrieben von: zoccoly am: 03.03.09, 16:36:47
noch ein kleiner Hinweis
eurem Sohn würde es sicher gut tun, wenn ihr euch die Zeit nehmen könntet und ihm die Zeit einräumen würdet, um mit ihm über Kläranlagen zu sprechen.


Geschrieben von: Stevi1X am: 03.03.09, 20:56:25
Danke euch allen für die zahlreichen Tipps.
zwinkern
Man muss wirklich in kleinen Schritten vorgehen. Da habt ihr vollkommen recht. Und immer alles rechtzeitig vorher ankündigen. Damit ja nichts Unvorhergesehenes ihn vor Probleme stellt.
Wir werden ihm einfach noch mehr Vorlaufzeit geben müssen.
Und bezüglich seines Steckenpferdes "Kläranlagen" machen wir es so, dass wir bei Ausflügen auch immer eine Kläranlage zusammen anschauen.

Schöne Grüße


Geschrieben von: 55555 am: 03.03.09, 21:42:47
Kennt er schon Membrankläranlagen? Sind noch sehr teuer und deswegen entsprechend selten. Dafür nehmen sie wesentlich weniger Platz ein.