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Geschrieben von: 55555 am: 14.08.11, 16:04:54
Kaum bezweifelt wird der Sinn einer Interessenvertretung und die Wichtigkeit von Unterstützung von Autisten in problemhaltigen Einzelfällen. Dennoch kommt es immer wieder zu Zerwürfnissen, die die eigentlich als sinnvoll betrachtete Arbeit stört oder sogar teilweise unmöglich machen kann.

Es scheint doch öfters so zu sein, daß Autisten irgendwelche Tabuthemen aufweisen, bei deren Verletzung jeder Kontakt zum Verletzenden abgebrochen wird, weil irgendwelche inneren Handlungsblockaden auftreten. Das kann in der Form des meist aggressiven Abdrehens geschehen, wie ich es vor geraumer Zeit taufte oder in Form eines stillen Rückzugs. Immer wieder geschehen solche als Verletzung empfundenen Begegenheiten offenbar gar nicht innerhalb der ESH-Arbeit, sondern zu irgendwelchen anderen Anlässen, z.B. in diesem Forum, das ja nicht von der ESH betrieben wird.

Andererseits ist es auch bekannt, daß Autisten oft ziemlich direkt ausdrücken was sie denken und sich ihrereseits wieder verletzt fühlen können, wenn man sie quasi dazu bringen will irgendwelche diplomatischen Floskeln zu bedienen, von denen sie innerlich nicht überzeugt sind.

Nun die Frage an euch: Wie könnte man vielleicht diese Problematik in der Zusammenarbeit, beziehungsweise im kompletten Kontakt zwischen Mitarbeitern abmildern?


Geschrieben von: Antika am: 14.08.11, 17:43:37
Für mich ist das verständlich, wenn der Verletzte sich vom Verletzenden abwendet. Verletzungen verursachen nun mal Schmerzen, und die will keiner wirklich haben. Mag ja sein, dass der Verletzende keine Verletzungen kennt da man ihm keine zufügen kann, aber das muss ja nicht auch auf andere zutreffen. Ein Mensch der verletzt wurde möchte sich schützen, und wird daher in Zukunft dem Verletzenden aus dem Weg gehen.

Für mich wäre es auch schwer mit so einem Menschen noch zusammen zu arbeiten.

Ich weiß nicht was diplomatische Floskeln sind, aber zur Diplomatie habe ich folgendes noch gefunden:

Zitat:
Jede Diplomatie funktioniert auf der Basis des verbalen Taktgefühls, welches gewährleistet, dass sachlich über Fakten diskutiert werden kann.


http://de.wikipedia.org/wiki/Taktgef%C3%BChl

Und ich persönlich halte Taktgefühl für wichtig im Umgang mit Menschen. Anders glaube ich wird es nicht gehen.




Geschrieben von: 55555 am: 14.08.11, 18:57:30
Nun ist es ja so, daß Autisten gerade von der NA-Gesellschaft nachgesagt wird weniger Taktgefühl zu haben. Glaubt jemand, daß es eine Art von autistischem Taktgefühl gibt? Ich kann soetwas in systematisch-stimmiger Weise nicht erkennen, also in einer Weise die wirklich viele Autisten so als Taktgefühl erkennen.

Was ich aber nicht verstehe ist, daß eigentlich erkannt wird wie wichtig es ist, daß wir unsere Interessen vertreten und dann doch nicht diese Erkenntnis in eine Art Kompromissfähigkeit zugunsten der Sache umgesetzt wird. Es wird ja immer so sein, daß es verschiedene Vorstellungen unter den Mitarbeitern gibt, gerade was irgendwelche Themen angeht, die eben an sich nichts mit der ESH-Arbeit zu tun haben.


Geschrieben von: Antika am: 14.08.11, 20:38:58
Es wird vielleicht dem Autisten von der NA-Gesellschaft nachgesagt, dass er weniger Taktgefühl habe. Weniger heißt doch dann aber nicht, dass er gar kein Taktgefühl besitzt. Ich glaube daher dass dies der einzige Unterschied ist, was das Taktgefühl eines Autisten zum NA angeht.....er hat einfach nur weniger davon.

Mir wurde das früher auch oft nachgesagt (und auch heute manchmal noch) dass ich kaum Taktgefühl hätte. Aber ich versuche mit dem wenigen Taktgefühl das ich habe, bewusst umzugehen. (Ich muss das alles über den Kopf machen.) Und gerade wenn es um eine gute Sache geht, bemühe ich mich um einen Kompromiss.

Man kann bei verschiedenen Themen ja unterschiedliche Vorstellungen haben, aber man sollte schon sachlich bleiben und nicht beleidigend oder verletzend (die Vorstellungen oder Ansichten des anderen) kommentieren.

So sehe ich das jetzt....bin mal auf die Antworten der anderen gespannt.


Geschrieben von: wolfskind am: 14.08.11, 22:18:50
ich denke man muss manchmal persönliche "differenzen"
(worauf auch immer diese sich beziehen)
hinter der "sache an sich" angestellen.
das heißt, dass jemand der sich gekränkt fühlt
das sagen sollte, festmachen sollte was nicht gut war (jemand sagte dazu mal gewitter)
und dann sollte die arbeit weiter gehen.

mir ist bewusst worum es geht bei dem was wir tun
und ich bin bereit zu sagen was mich (persönlich) stört, damit es die arbeit nicht beeinträchtig.
man könnte für den übergang nach einem konflikt vielleicht
für die betroffene personen die ansprechpartner ändern?
damit nicht der direkte kontakt weiter ausgehalten werden muss?
so lange bis sich die lage entspannt hat?


Geschrieben von: Fundevogel am: 14.08.11, 23:25:38
Puh, ich bezweifle, dass es "das" Taktgefühl gibt. Was als Taktgefühl verstanden wird, hängt doch sehr von Landsmannschaft, Erziehung, sozialen Verhältnissen... ab.
Es kann sein, dass in bestimmten Kreisen bereits eine regelwidrige Bekanntmachung mit einem Gast (wer grüßt wen zuerst) als Mangel an Taktgefühl gewertet wird, während in einer anderen Gesellschaft Pöbeleien unter der Gürtellinie als sprachüblich und herzlich angesehen werden.

An den Konflikten in den vergangenen Monaten erscheint mir einiges unlogisch. Einerseits ist die ESH vom Forum getrennt zu sehen. Die Forenmitglieder heißen die Arbeit der ESH gut...
aber weil sie sich mit Forenmitgliedern nicht mehr so gut verstehen, beteiligen sie sich nicht mehr an der Arbeit der ESH: eine unglückselige Verknüpfung privater Empfindungen mit sachlicher Arbeit.

In vielen Threads ist hier zu lesen, dass Autisten das besser als NA auseinander halten können. Ich kann das nicht gut erkennen.

Eine Verletzung wird erst dann zu einer Verletzung, wenn ich sie als solche deute und damit einen Menschen zum Verletzer küre.
Ich kann alternativ auch

denken, der- oder diejenige hat heute einen "schlechten Tag",
lachen und sagen "der Schatz der kann mich mal",
auslegen, dass er wegen einer charakterliche Schwäche zu bedauern ist,
vermuten, dass er etwas denkt, was ich nicht nachvollziehen kann,
glauben, dass er das braucht, um wieder in die Waage zu kommen,
unterstellen, dass er irgendwo aus seiner Sicht Recht haben kann...

dann bin ich nicht automatisch verletzt.
Erst dann, wenn ich ihm unterstelle, dass er mir Böses will, dann tritt die Verletzung ein...und mit Verlaub, das riecht dann schwer nach Selbstverletzung unter Benutzung eines anderen.

Wenn Menschen in sich ruhen, sind sie kaum verletzbar. Wenn sie gestresst sind, über mangelhaftes Selbstwertgefühl verfügen, wenn sie in Not leben...sind sie viel leichter zu verletzen.
Am sogenannten Verletzenden sollten wir also eher unseren persönlichen Zustand ablesen als eine gewollte Niedermachung...

und deshalb bitte ich alle, nach den Sommerferien wieder frisch und frei bei der ESH mitzumachen und sich mit den Eigenkräften über die Differenzen im Forum zu erheben, damit wir nicht in diesem Sumpf verbleiben.


Geschrieben von: Antika am: 15.08.11, 00:45:15
Zitat von Fundevogel:
Eine Verletzung wird erst dann zu einer Verletzung, wenn ich sie als solche deute und damit einen Menschen zum Verletzer küre.


Das sehe ich anders. Wenn mir jemand anderes z.B. mit einem Schlag ins Gesicht eine Platzwunde verpasst, dann ist dies eindeutig eine Verletzung die mir der andere zugefügt hat.
Da brauche ich den anderen nicht großartig zum Verletzer küren.

Natürlich kann mich so ein Schlag auch unbeabsichtig treffen. Da mache ich schon noch Unterschiede.

Es gibt meiner Meinung nach nicht nur körperliche Verletzungen, sondern eben auch seelische Verletzungen. Auch wenn dies vielleicht nicht jeder so sehen mag, derjenige der es jedoch auch so sieht, wird nun mal auf so eine Verletzung reagieren.

Außerdem ruht nun mal nicht jeder Mensch in sich....es gibt aber nun mal Menschen mit mangelhaftem Selbstwertgefühl....und manch einer lebt vielleicht auch in Not.

Ich finde es daher schon wichtig, dass man auch auf solche Menschen etwas Rücksicht nimmt. Gegenseitige Rücksichtnahme und Verständnis braucht es schon, ansonsten glaube ich nicht dass eine weitere Zusammenarbeit möglich sein wird.

Ich bin z.B. nicht bereit, nur alleine Kompromisse einzugehen, während andere weitermachen können/dürfen wie sie wollen. Entweder wir kommen uns alle ein Stück entgegen, oder unsere Wege trennen sich.


Geschrieben von: wolfskind am: 15.08.11, 01:01:44
es gibt einen unterschied zwischen "arbeit" und "persönlichen differenzen"
man kündigt ja nicht weil man sich mal mit dem kollegen streitet weil dieser stinkenden käse aß.
auch nicht wenn mir der kollege eine wunde schlug.
da geht es nicht um- so weiter machen können/dürfen (persönliche differenzen).
sondern um die arbeit, zu der ich auch mit einer wunde erscheinen kann.


Geschrieben von: drvaust am: 15.08.11, 06:02:10
Es muß nicht unbedingt an einer Verletzung liegen.
Wenn z.B. jemand Ansichten verkündet, mit denen ich nichts zu tun haben will, muß ich mich von dem distanzieren.
Wenn z.B. jemand gegen ethische Grundsätze verstößt, die mir wichtig sind, kann ich mit dem kaum noch zusammenarbeiten.
Wenn z.B. das Verhalten unverständlich und unberechenbar ist, so daß ich manchmal nicht mehr weiß, woran ich bin, kann ich kaum noch zusammenarbeiten.
Zu einer Zusammenarbeit gehört auch eine gegenseitige Verständigung (Verständnis), sonst gibt es Kommunikationsprobleme, bis zu Gegeneinanderarbeiten. Außerdem muß man die Ansichten und Handlungen des Mitarbeiters einigermaßen vertreten können, sonst kann man deswegen in einen schlechten Ruf geraten.


Geschrieben von: Antika am: 15.08.11, 07:26:17
@wolfskind

Zu kündigen weil der Kollege stinkenden Käse aß, wäre aus meiner Sicht natürlich eine übertriebene Reaktion. Aber wenn mir dieser Kollege ständig Fausthiebe verpassen würde, würde ich nicht mehr dauerhaft mit ihm zusammenarbeiten wollen. Zumal wenn ich weiß dass es andere "Betriebe" gibt in denen ein anderer Ton und ein freundlicheres Klima herrschen. Leider gibt es davon aber nicht viele.

Jeder Betrieb ist nun mal auf seine Mitarbeiter angewiesen, und da ist ein gutes Betriebsklima nun mal wichtig. Ich habe mal ein interessantes Buch gelesen: Mitarbeiter sind so verletzlich! und da hat mir ein Spruch besonders gut gefallen.

"Der Tag, an dem Deine Mitarbeiter nicht mehr mit Dir arbeiten wollen, ist das Ende Deiner Karriere."

Und wie schon drvaust hier auch noch erwähnt, geht es nicht nur alleine um Verletzungen, das sehe ich genauso.


Geschrieben von: Leah am: 15.08.11, 10:35:08
Ich vermute, eine gute Zusammenarbeit wird möglich sein, wenn jeder Beteiligte seine eigene Persönlichkeit gegenüber dem gemeinsamen Interesse zurückstellt.

Ist ein Ziel (-punkt) klar definiert und werden übermäßige Abschweifungen verhindert, könnte das zu besserer Kommunikation bezüglich der gemeinsamen Sache führen.


Geschrieben von: Fundevogel am: 15.08.11, 10:36:46
@drvaust: Zusammenarbeiten ist im Arbeitsleben ganz selten "einer" Meinung sein? Im besten Falle ist es eine Näherung der Ansichten...ein Kompromiss, ein Nebeneinander-bestehen-können und dürfen. Dieses belebende Ringen hält eine Unternehmung dynamisch und menschlich und hilft, sich in Respekt und Toleranz zu üben.

@Antika: Hans-Christian Andersen meint zu diesem Satz in seinem Märchen vom hässlichen Entlein: Der Tag, an dem deine Mitarbeiter nicht mehr mit dir arbeiten wollen, ist das Ende "einer" Karriere?