Forum für Autisten und interessierte Zeitgenossen (http://autismus.ra.unen.de/index.php)
-- Offenes Forum (Schreibrecht auch für unter User=Gast; Pass=Gast eingeloggte Gäste) (http://autismus.ra.unen.de/board.php?id=3)
---- NA-Sprechstunde für Fragen zu Nichtautismus (http://autismus.ra.unen.de/board.php?id=102)
Thema: Langeweile (http://autismus.ra.unen.de/topic.php?id=5445)


Geschrieben von: feder am: 09.04.12, 13:29:50
Was versteht ihr unter Langeweile?


Geschrieben von: drvaust am: 10.04.12, 01:07:07
Wenn ich nicht beschäftigt bin, mich nicht beschäftigen kann (geistig).
Wenn ich mich auf eine uninteressante Tätigkeit konzentrieren muß, ohne dabei geistig richtig beschäftigt zu sein. Z.B. eine monotone Vorlesung zu längst bekanntem Stoff, bei der ich aufmerksam wirken muß. Oder eine routinierte mechanische Tätigkeit, bei der ich auch noch auf uninteressante Gespräche im Umfeld achten muß. Oder eine längere Fahrt ohne interessante Aussicht, wenn ich nichts zu lesen habe.
Deshalb habe ich immer mindestens eine Zeitschrift bei mir, die ich sogar mitten in einer Party lesen kann. zwinkern


Geschrieben von: 55555 am: 10.04.12, 12:19:55
Ich glaube der Thread richtete sich an NA (siehe Unterforum)?


Geschrieben von: feder am: 10.04.12, 13:28:23
v.a. an NA, aber Autisten können auch gerne antworten – ich sehe ja entsprechend der Freischaltung/Selbsteinordnung in anderen Beiträgen ob jemand eher A oder NA ist. Ein Vergleich darin, ob beide Gruppen Langeweile anders werten oder einordnen ist vielleicht auch interessant. In anderen Threads dieses Unterforums haben ja teils auch Autisten ihre Sicht dargelegt.


Geschrieben von: wolfskind am: 10.04.12, 15:59:11
okay dann kann ich also auch was dazu sagen ;)
ich denke lange-weile bedeutet im allgemeinen
dass jemand nichts zu tun hat, nichts mit sich anfangen kann
nicht weiß womit er sich beschäftigen soll
.. dass einfach "nichts los ist"

ich kenne das gefühl nicht.
bei mir ist immer "was los"
wenn ich grade keine aufgabe oder ähnliches habe
betrachte ich gerne dinge, drehe etwas hin und her
beobachte etwas, wedel mit den händen und schaue auf das licht das
durch die finger kommt, solche dinge.
ich finde vieles spanend was anderen nicht auffällt.


Geschrieben von: schuschu am: 10.04.12, 17:09:16
mir gehts da ähnlich wie wolfskind.

ich kann manchmal einfach nur dasitzen und was beobachten ( mUSTER IN Gegenständen, Wolken, Pflanzenkeime, wenn sich was dreht,bestimmte lichtstrahlen oder einfach nur beim atmen.

Ich glaube, das Langeweile bei vielen aus der Erziehung raus was nicht Erlaubtes, also was ünerwünschtes ist.

ich kenne viele NAs, die sich Langeweile nicht erlauben.
Vielleicht auch aus Angst vor der Stille, vor der eigenenStimme in einem drin?


Geschrieben von: starke Dame am: 11.04.12, 19:04:17
ich habe so gut wie nie Langeweile.

Bei mir ist es einfach so, wenn ich nichts zu tun habe, hänge ich gerne meinen Gedanken nach oder fröhne irgend welchen Hobbies - gleichzeitig mehrere Puzzles in Arbeit haben, 1.000, 6.000- und 20.000 Teile, und irgendwie gibt es diese Langeweile bei mir nicht.

Bei der 13-jährigen erlebe ich oft Langeweile, sie weiß dann einfach nicht was sie tun soll.


Geschrieben von: Vendela am: 12.04.12, 00:00:00
Mir geht es ähnlich wie schuschu und wolfskind. Manchmal mag ich Langeweile, weil mir Details auffallen, die ich sonst nicht sehen würde. Das sind nicht nur Gegenstände (z.B. Lichtspiele), sondern auch interessante Situationen, die sonst anders verlaufen wären oder nie passiert wären.

Am Begriff finde ich interessant, dass er sowohl im Sinn eines persönlichen Problems (z.B. "mir ist langweilig / ich habe Langeweile"), als auch zur Beschreibung von Eigenschaften (z.B. wie bei drvaust eine "monotone", langweilige (?) Vorlesung, oder "Person XYZ ist langweilig") verwendet wird. Ich glaube, dass sich NAs Langeweile schon erlauben, aber es dann anders nennen ("Rumsitzen"? Entspannen? Faulenzen? Nichts tun? ). Dass es manchmal negativ betrachtet wird könnte daran liegen, dass manchmal Langeweile bei Kindern mit verpasster Förderung oder Vernachlässigung und bei Erwachsenen mit langsamer Arbeitsweise, fehlender Leistungsfähigkeit oder schlecht genutzter (Arbeits-)Zeit in Verbindung gebracht wird, soweit ich das verstanden habe.


Geschrieben von: PvdL am: 19.04.12, 05:45:31
Langweilig ist mir eigentlich nur, wenn ich beim Arzt im Wartezimmer sitze (und kein interessantes Magazin zum lesen da ist) und artverwandte Situationen unfreiwilligen Abhängens in ungemütlicher Atmosphäre.


Geschrieben von: Fundevogel am: 21.04.12, 13:36:47
Langeweile und Nichtstun galten in meiner Jugend als Sünde und als sehr unanständiges Verhalten z.B. den Nachbarn gegenüber, wenn man sich sichtbar Freizeit erlaubte, während die anderen noch arbeiten mussten. Es galt als unschicklich und unsozial, sich als "fertig mit Arbeit" zu präsentieren. "Hände in den Schoß zu legen" war "feinen Herrschaften" vorbehalten.
Das hat mich zwar geprägt, aber das Tätigsein ist für mich auch eine Art Kontemplation, indem ich bewusst erlebe, was meine Hände alles können, wie sich mein Rücken beugen kann, wie schwer die Füße werden, wo sich Schmerzen bilden, was ich nicht mehr kann...
Ich bin deshalb auch beschäftigt, wenn ich eine lange Weile habe, sie ist für mich ein genussvolles Tätigsein in Zeitlupe.


Geschrieben von: drvaust am: 22.04.12, 08:33:41
Nicht handeln, nicht körperlich, bzw. äußerlich sichtbar, tätig sein, bedeutet für mich nicht Nichtstun und Langeweile. Auch keine äußeren Eindrücke müssen nicht zu Langeweile führen, ich habe genug (Denk-)Stoff in mir.
Ich kann scheinbar fast regungslos sein und gleichzeitig intensiv geistig beschäftigt sein. Langeweile kommt bei mir erst auf, wenn ich mich geistig nicht beschäftigen kann. Deshalb langweile ich mich manchmal, wenn ich körperlich arbeite. Da muß ich mich auf die stupide körperliche Arbeit konzentrieren, die mich geistig nicht beschäftigt. Am langweiligsten ist aufmerksames Warten.


Geschrieben von: hjqsra am: 13.11.19, 16:36:15
Das Verspüren von Langeweile entsteht durch das missmutige Betrachten einer Zeit. Ein Energie-Stau.

Ziemliche Selbstvergessenheit lebt fern von Zeit-Bewusstsein, - trägt die Zeit im Hinterkopf, so lange man sie nicht komplett vergisst. - Was vermutlich nur möglich wäre, wenn man entweder während eines Flows oder unmittelbar nach einer Amnesie stirbt, oder Zeit von vorne herein nicht oder sonst wie nicht (mehr) für wahr nimmt.

Bei einem bewussten "Flash" fühlt es sich für mich so an, als stünde die Zeit still. Die, wo man für einen Moment tiefe Verbundenheit / Zweifelsfreiheit bewusst verspürt. Z. B. zu einer Kombi aus Vogelgezwitscher, Waldluft, sanfter Sonneneinstrahlung, welche einen situativ so sehr ergreift, dass anderweitige Gedanken der Zeit keinen Platz im Kopf finden. Wo man einer Sache völlig offen gegenüber steht, ohne dabei irgendwelche Worte zu denken, außer vielleicht maximal "wow". Aber durch ein Gefühl. Das macht eher revers-mäßig bäm, - als würde man auf eine schwer beschreibliche Weise losgelöst sein.
Finde gerade den Wikipedia-Artikel zu dem Begriff nicht mehr. Aus mancher Arzt-Sicht gilt so etwas, wenn es zu häufig auftritt als krankhaft. Irgendwie so war das formuliert, dass das z. B. jene oft erleben, die Achtsamkeit üben und wenn die dem zu sehr nachgingen, übertreiben würden. Ich hab so was zwar selbst nur wenige Male erlebt. Aber das liegt vermutlich einfach an den vielen Overloads in meinem Leben. Was spricht denn dagegen, mehrere Flashs zu erleben? Vielleicht klingt die Beschreibung für jene, die solche Momente entweder als ziemlich selbstverständlich oder nicht kennen, ungreifbar, so dass sie die Beschreibung anderer entweder für etwas anderes halten oder sie mit Angst betrachten.
Diese Momente sind nicht zu verwechseln mit Verknalltheit. Die ist für mich ein Chaos Gemisch aus Verbundenheit und Widerstand. Ein Flash ist ein Fluss. Ein bewusster Flow. Eine bewusste Versunkenheit.

Muße lebt man auch bewusst, aber mit dem bewussten Beigeschmack, dass sie vergeht.