Technologischer Neuerungswahn
Lisa_M.
26/05/2006 16:47
Ganz allgemein nervt es mich, dass der technologische Fortschritt zu einer Raserei ausgeartet ist, bei der der größte Teil der geistigen Gesamtkapazität der Gesellschaft dafür verschwendet wird, ständig die Bedienung der neusten Geräte und Software-Versionen zu erlernen. Meiner Ansicht nach liegt das daran, dass das Hauptziel im Kapitalismus die Profitmaximierung ist und man halt ständig was Neues auf den Markt bringen muss, weil es ja glatt sowas wie ‘ne Katastrophe wäre, wenn die Leute ihren Kram benutzen, bis er kaputtgeht. Das Interesse ist ziemlich klar. Ich finde es nur unfassbar, dass das so gut funktioniert und einem alle möglichen ansonsten ganz vernünftigen Leute sagen, dies oder das würde nicht mehr taugen, weil es soundso alt sei. Passiert mir z.B. bei meinem Computer. Ich hab seit einiger Zeit zwei davon, denn auf meinem alten ist immer noch Windows 95 drauf (die letzte Version davon - vermutlich die stabilste Windows-Version, die es je gab! Endlich alle Bugs raus, und dann wurde sie nur in geringer Auflage auf den Markt gebracht, weil gleich darauf ein neues Windows rauskam, das wieder völlig buggy war). Ich möchte mich von meinem alten System nicht trennen, denn im Laufe der Zeit hat sich da jede Menge interessanter Software angesammelt. Andere reagieren darauf ziemlich verständnislos und meinen, dass es doch wohl ganz normal sei, sich ständig ein neues Betriebssystem zu installieren und dafür anschließend erstmal nix mehr auf der Festplatte zu haben. Ja, meine Güte, wofür brauche ich denn ein Betriebssystem? Doch nur als Unterlage für die Software! Also brauche ich ein System, das einigermaßen schnell ist und nicht abschmiert. Mehrere Fachleute sagten mir, mit Windows 95 könne ich aber heutzutage nicht mehr ans Internet, das sei nicht mehr gegen Zugriffe von außen sicherbar. Okay, hab ich mich also weiter schlau gemacht: Windows NT würde auf meinem alten Rechner so nicht laufen, und außerdem ist es gähnend langsam. Dazu meinte der eine Typ noch, ich solle aber bloß um Himmels willen möglichst wenig Programme installieren und möglichst wenig Verzeichnisse anlegen, weil NT bei jeder Zuckung erstmal nachschaut, was es alles für Verzeichnisse auf der Platte hat. Ja, sind die denn bescheuert?! Ich soll Geld für neue Hardware ausgeben, nur weil ein Betriebssystem so schwachsinnig programmiert ist, dass es für das bloße Vorhandensein von Verzeichnissen und Dateien ständig Rechenzeit verbraucht? Und *dafür* meinen ganzen Krempel von der Platte putzen?
Ich hab auf meiner "alten Mühle" schon selbst programmiert, 3-D-Bilder gemacht, Grafik, Html, Texte geschrieben, Tabellenkalkulation, und das alles kann er/sie immer noch ganz gut (ich selbst allerdings müsste mich in einiges erst wieder einfummeln, weil ich seit längerer Zeit nur noch schreibe). Es ist für mich schlicht ein lästiger zusätzlicher Zeitaufwand, mich mit einem neuen Betriebssystem zu befassen. Da der Zeitaufwand unvermeidlich war, wenn ich ans Internet wollte, hat mir ein Freund, der Systemadministrator ist, Linux auf einer "alten Mühle" installiert - Kosten: 20 Euro für den ausgemusterten PC!
Es geht mir da aber nicht nur einfach um Geiz, sondern auch darum, dass ich einfach nur meinen Kram machen will und es nicht einsehe, dass die Industrie einem eine ständige Aufrüstung aufzwingt, nur, damit man weiterhin machen kann, was man bisher gemacht hat. Denn früher war ich ja schon mit meinem Win 95 am Netz und da ging das ganz gut.
Mit anderem Kram ist es dasselbe. Vor einigen Jahren las ich mal was in der Zeitung oder so über eine alte Dame, die einen dicken Schaden an einem blöden Automaten bei der Stadtkasse bezahlen sollte, weil sie das Ding irgendwie falsch gefüttert hat. Ich finde, so einen Schaden sollten die wahren Verursacher selbst tragen: Die Leute nämlich, die entscheiden, dass man keine Rücksicht darauf zu nehmen braucht, dass nunmal nicht jeder sofort schnallt, wie man so einen blöden Automaten bedient.
Ich selbst hab die innere Ruhe, die Intelligenz und die Lesefähigkeit, vor so einem Gerät erstmal stehen zu bleiben und mich als erstes mal ausgiebig mit der Frage zu befassen, wie man den Kasten bedient. Es nervt mich aber, und ich hab mich bisher auch schon gefragt: Wenn ich *trotzdem* erstmal völlig verwirrt davor stehe, wie soll das denn dann Leuten gehen, die schon ein bisschen tüdelig sind oder nicht so gut lesen können?
Nun wird mir ja langsam klar, dass ich wohl deshalb nicht so flott bin mit der Bedienung neuer Geräte, weil ich selbst ein bisschen tüdelig schon immer war... *grins* Was glaubt ihr, für wie bekloppt man diese Gesellschaft hält, wenn man von sich weiß, dass man überdurchschnittlich intelligent ist und glaubt, andere müssten bei der ersten Begegnung mit so einem Kasten entsprechend mehr Energie aufwänden, um sich erstmal damit vertraut zu machen - und die Dinger dann dauernd ausgetauscht werden?