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eraser
(Autistenbereich)

Wenn sowohl "Sinnesreizdeutungsautomatismen" und Triebe unfrei machen, so würde ich behaupten, dass alle Menschen unfrei sind. Sich zu befreien ist dann mehr oder weniger anstrengend, je nach neurologischer Konstitution.
Ein Gruppentrieb ist insofern Trieb, als er wohl angeborenes Verhalten (einiger) darstellt. Ein "dressierter" Autist könnte von außen dieses Verhalten zeigen und ob der Trieb dann angeboren oder erworben ist, kann man nicht mehr sagen.
In diesem Moment ist der Unterschied allein der der inneren Funktionsweise.
Das ist für mich wichtig bei einer Definition von Autismus, denn ich sehe nicht den als Autisten, der sich so benimmt, wie die Mehrheit glaubt, dass ein Autist sich benehmen müsse, sondern ein Autist hat eine bestimmte Funktions- oder Herangehensweise bei der Aufnahme, Verarbeitung und Reaktion auf Sinnesreiz XYZ.
Ich verwende hier einen mechanistischen Terminus, denn zum einen fällt mir kein anderes Wort ein und zum anderen kann ich mich am besten in technischen Begrifflichkeiten selbst beschreiben.

Ich halte nicht viel von der Trennung in Behaviorismus und genetischen Determinismus. Verhalten ist weder rein angeboren noch rein erworben. Umweltbedingungen haben Auswirkungen auf Hormone, sogar auf neuronale Verschaltungen, auf Gene, auf Krankheiten wie Krebs. Es ist alles sehr kompliziert, da hast du Recht. Warum ein Mensch sich so oder so verhält, hat mehr als nur eine schlichte Ursache.
Natürlich kann man Menschen konditionieren und natürlich passiert das durch gesellschaftlichen Druck mit beinahe jedem relativ beiläufig. Die Wahrnehmung kann so auch beeinflusst werden, man denke an die Nazi-Zeit, als man den Kindern was von Rassekunde erzählt hat und so manche Oma meint noch in hohem Alter, dass die Türken unsauber seien, ohne je einen Türken näher gekannt zu haben.
Sie nimmt Türken eben als "Untermenschen" wahr, weil man sie als Kind darauf konditioniert hat, dass die Dunkelhäutigen weniger wert sind.
Autisten sind zum Glück nicht so anfällig für all das, sie hinterfragen alles logisch. Man muss ihnen schon Gewalt antun, um sie zu dressieren.

Nichtsdestotrotz spreche ich im Bereich der Biologie von "Fehlen".
Wenn ein Gen fehlt oder ein Chromosom dreifach vorliegt, sind das Tatsachen, die ich als "Fehlen" oder "Verdopplung" von Genen oder Zellen oder Organen bezeichne, ganz ohne Wertung.
Natürlich ist nicht jede Mutation negativ, ein zweites Paar Flügel könnte einer Fliege sehr nützlich sein, das Fehlen von Flügeln könnte, je nach Umwelt, auch nützlich sein. Schließlich haben die Fliegen schon ein Paar der ursprunglichen 2 Paare reduziert.
Per se ist das nicht positiv/ negativ, erst die Umwelt erschafft den Vorteil/ Nachteil.

Ich spreche auch von "Fehlern" oder "Defekten" in bestimmten Bereichen. Eine Mutation (mit positiven oder negativen Folgen) ist primär ein Lesefehler. Eigentlich könnte mir egal sein, ob ich von einem Gendefekt oder einer genetischen Variante spreche, aber es gibt nun mal leider lebensverkürzende Mutationen, die für die Betreffenden alles andere als angenehm sind. Barrierefreiheit ist das geringste Problem, wenn jemand mit 20 sterben muss, weil seine Atemmuskulatur sich immer weiter abbaut, weil sie z.B. aufgrund eines Gendefekts - und da ist wirklich einfach ein Gen defekt - kein Dystrophin erkennen kann.
Es ist ziemlich schwierig so jemandem zu erklären, dass er nicht krank ist und seine Behinderung von der Umwelt konstruiert wird.
Und ich werde auch solchen Menschen nicht verbieten, sich selbst als defizitär zu betrachten und zu bezeichnen, wenn sie das gerne wollen. Auch Autisten, wenn sie das wollen, werde ich es nicht verbieten, obwohl ich dann schon versuche, den Leuten einen positiven Blickwinkel zu vermitteln.

Und auch ein Schwarzer, der sich "Neger" nennen möchte, kann das gerne tun. Eine Bezeichnung wie "Neger" kann auch als Gewaltakt empfunden werden, wenn man Menschen dabei das Recht auf Selbstbezeichnung nimmt. Wer einen "Eigennamen" wie "Neger" für "sprachlich nicht letztlich zwingend für eine bestimmte Denkweise" stehend sieht, fällt für mich in eine äußerst bedenkliche Kategorie, aber darum geht es hier gar nicht. Das ist total OT.
Sicher darf jeder Mensch selbst entscheiden, was er als beleidigend empfindet.
Es sollte allerdings irgendwie nachvollziehbar sein.
Du empfindest "Fehlen von Filtern" als defizitär und pathologisierend und da ist für mich die Grenze erreicht, wo ich nicht mehr mit mache.

Seit 8 Jahren geht es nur um dieses Thema, es ist nicht möglich, irgendeine Debatte zu führen ohne dieses Thema, das Aspie-Forum wurde gelöscht wegen diesem Thema, wichtige Ziele wurden nicht erreicht wegen diesem Thema, Mitstreiter wurden vergrault wegen diesem Thema, die ganze Community ist total verstritten wegen diesem Thema, ich habe Freunde verloren wegen diesem Thema, bin seit Jahren nicht mehr aktiv wegen diesem Thema und ich bin es einfach LEID, akzeptiere das bitte. Ich habe es in meinem Privatleben mit Menschen zu tun, denen es scheißegal ist, wie man sie nennt, für die ist nur wichtig, dass Barrieren aus dem Weg geschafft werden.
Und das hat für mich Priorität.
15.03.13, 22:23:33
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Topic:
Zitat:
Wenn sowohl "Sinnesreizdeutungsautomatismen" und Triebe unfrei machen, so würde ich behaupten, dass alle Menschen unfrei sind.

Das als graduelle Frage zu sehen ist sicher sinnvoll.
Zitat:
Sich zu befreien ist dann mehr oder weniger anstrengend, je nach neurologischer Konstitution.

Ersteinmal müßte man sich fragen, ob diese Freiheit überhaupt als universeller Wert betrachtet werden kann. Das ist ja nicht zwangsläufig so, wenn wir das vielleicht auch meinen. Bedenklich sind sicher solche Triebe, die Faschismus und Krieg begünstigen, etc.
Zitat:
Ein Gruppentrieb ist insofern Trieb, als er wohl angeborenes Verhalten (einiger) darstellt. Ein "dressierter" Autist könnte von außen dieses Verhalten zeigen und ob der Trieb dann angeboren oder erworben ist, kann man nicht mehr sagen.

Naja, meist ist das Nachahmen ja trotzdem erkennbar als "irgendwie nicht dazugehörig". Entscheidend war im Bezug wohl, daß das so angenommen aus einem erholsamen Leben nicht bei Autisten als Trieb aufzutauchen scheint, wenn man mal von denjenigen absieht, die Autisten sind aber dazu tendenziell eh neigen.
Zitat:
sondern ein Autist hat eine bestimmte Funktions- oder Herangehensweise bei der Aufnahme, Verarbeitung und Reaktion auf Sinnesreiz XYZ.

Wenn man da den Kern sehen würde, wäre das konsequent. In Äußerlichkeiten wie die üblichen medizinischen Diagnosekriterien sehen wir ihn offenbar beide nicht. Ist wohl auch kein großes Wunder.

Sonstiges:
Zitat:
Ich verwende hier einen mechanistischen Terminus, denn zum einen fällt mir kein anderes Wort ein und zum anderen kann ich mich am besten in technischen Begrifflichkeiten selbst beschreiben.

Scheint so.
Zitat:
man denke an die Nazi-Zeit, als man den Kindern was von Rassekunde erzählt hat und so manche Oma meint noch in hohem Alter, dass die Türken unsauber seien

Sowas aus der Nazizeit? Oder war das ein ausgedachtes Beispiel?
Zitat:
Nichtsdestotrotz spreche ich im Bereich der Biologie von "Fehlen".

Schade.
Zitat:
Natürlich ist nicht jede Mutation negativ,

Aha, immerhin.
Zitat:
Ich spreche auch von "Fehlern" oder "Defekten" in bestimmten Bereichen.

Tja.
Zitat:
Eine Mutation [...] ist primär ein Lesefehler.

Nein.
Zitat:
Eigentlich könnte mir egal sein, ob ich von einem Gendefekt oder einer genetischen Variante spreche,

Gut.
Zitat:
aber es gibt nun mal leider lebensverkürzende Mutationen, die für die Betreffenden alles andere als angenehm sind. Barrierefreiheit ist das geringste Problem, wenn jemand mit 20 sterben muss, weil seine Atemmuskulatur sich immer weiter abbaut, weil sie z.B. aufgrund eines Gendefekts - und da ist wirklich einfach ein Gen defekt - kein Dystrophin erkennen kann.

Für mich ist das kein Defekt. Das ist Leben.
Zitat:
Es ist ziemlich schwierig so jemandem zu erklären, dass er nicht krank ist und seine Behinderung von der Umwelt konstruiert wird.

Bezüglich "Krankheit" wäre halt die Frage, was Krankheit überhaupt sein soll. Bezüglich Behinderung ist für mich die Sache klar, der Punkt ist wohl, daß nicht der ganze Umfang dessen, was so jemanden bewegen könnte mit Behinderung zu tun hat.
Zitat:
Und ich werde auch solchen Menschen nicht verbieten, sich selbst als defizitär zu betrachten und zu bezeichnen, wenn sie das gerne wollen.

Aha.
Zitat:
Auch Autisten, wenn sie das wollen, werde ich es nicht verbieten, obwohl ich dann schon versuche, den Leuten einen positiven Blickwinkel zu vermitteln.

Ja, was heißt schon verbieten. Kommt immer auch auf den Rahmen an.
Zitat:
Eine Bezeichnung wie "Neger" kann auch als Gewaltakt empfunden werden, wenn man Menschen dabei das Recht auf Selbstbezeichnung nimmt.

Umso mehr gilt das halt für sprachliche Zusammenhänge, die nicht recht frei deutbar sind? Gerade in Hinblick auf Begriffe mit allgemeinerem Bedeutungsumfang?
Zitat:
Wer einen "Eigennamen" wie "Neger" für "sprachlich nicht letztlich zwingend für eine bestimmte Denkweise" stehend sieht, fällt für mich in eine äußerst bedenkliche Kategorie

Da muß ich dann wohl mit leben. zwinkern Tatsache ist: Es ist kein Begriff wie "Fehler" der allgemein in verschiedenen Zusammenhängen sprachlich gebraucht wird und einen bestimmten Bedeutungsraum hat, der das Verständnis der meisten "Zuhörer" für den ganzen Zusammenhang erheblich mitprägt.
Zitat:
Sicher darf jeder Mensch selbst entscheiden, was er als beleidigend empfindet.
Es sollte allerdings irgendwie nachvollziehbar sein.
Du empfindest "Fehlen von Filtern" als defizitär und pathologisierend und da ist für mich die Grenze erreicht, wo ich nicht mehr mit mache.

Und ich kann da jetzt gar nicht verstehen, was daran nicht nachvollziehbar sein soll, wenn ich "Fehler" da für einen gefährlichen Begriff halte. Diese Formulierung scheint für mich mit Neurodiverität als Ansatz völlig unvereinbar zu sein.
Zitat:
Seit 8 Jahren geht es nur um dieses Thema, es ist nicht möglich, irgendeine Debatte zu führen ohne dieses Thema,

Also den Eindruck habe ich ehrlich gesagt nicht.
Zitat:
das Aspie-Forum wurde gelöscht wegen diesem Thema,

Nö.
Zitat:
wichtige Ziele wurden nicht erreicht wegen diesem Thema,

Sehe ich auch nicht.
Zitat:
Mitstreiter wurden vergrault wegen diesem Thema,

Hm.
Zitat:
die ganze Community ist total verstritten wegen diesem Thema,

Echt?
Zitat:
ich habe Freunde verloren wegen diesem Thema,

Na sowas.
Zitat:
bin seit Jahren nicht mehr aktiv wegen diesem Thema

Verstehe ich nicht. Also ich schreibe hier nur meine Meinung und beschreibe meine Erkenntnisse dessen was ich warum für ziemlich wichtig halte.
Zitat:
und ich bin es einfach LEID, akzeptiere das bitte.

Na und ich weise nur auf etwas hin, das ich in den letzten Jahren sogar zunehmend als immer wichtiger erkannt habe. Ich schreibe das hier ja nicht um dich zu ärgern.
Zitat:
Ich habe es in meinem Privatleben mit Menschen zu tun, denen es scheißegal ist, wie man sie nennt, für die ist nur wichtig, dass Barrieren aus dem Weg geschafft werden.
Und das hat für mich Priorität.

Ich sehe da keinerlei Widerspruch. Es sei denn vielleicht jemand will eine politische Aktion voll mit Gedankengut machen das neue Probleme gestärkt. Und da will ich auch weiter Bedenken anmelden, auch wenn manche das vielleicht nervig finden. Letztlich dient es allen, zumindest bin ich davon überzeugt.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
15.03.13, 23:54:00
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eraser
(Autistenbereich)

geändert von: eraser - 16.03.13, 05:12:48

Zitat von 55555:

Ersteinmal müßte man sich fragen, ob diese Freiheit überhaupt als universeller Wert betrachtet werden kann. Das ist ja nicht zwangsläufig so, wenn wir das vielleicht auch meinen. Bedenklich sind sicher solche Triebe, die Faschismus und Krieg begünstigen, etc.

Ich persönlich finde es gut, mit meinen Trieben im Einklang zu leben. Mein innerer Hund und ich, wir sind ein gutes Team. Es ist mein Instinkt, der mich warnt und es sind meine Triebe, die mich am Leben erhalten. Ich würde sonst einfach nicht essen und verhungern.
Den üblichen Herdentrieb habe ich nicht. Wie auch, nach DDR- Kinderkrippe, Kindergarten, Klassenkollektiv, wohnen zu viert auf 35m²... in meinem Fall ist es vielleicht nicht mal angeboren.
Obwohl, die anderen sind ja auch so aufgewachsen und haben den Herdentrieb.

Triebe oder Eigenschaften, die Faschismus oder Krieg begünstigen oder verhindern, gibt es so vermutlich nicht. Mein Opa war zum Beispiel wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt, weil er immer gesagt hat, was er dachte. Vermutlich war er leicht autistisch.
Aber vielleicht war Adolf Eichmann auch leicht autistisch. Vielleicht war Jesus leicht autistisch. Vielleicht überwiegt bei manchen das Gerechtigkeitsgefühl und bei anderen die Freude am Addieren von Zahlenkolonnen ohne Rücksicht darauf, was für Zahlen das sind.
Ich halte mich mit Wertungen lieber zurück, denn NAs haben ihre Bedürfnisse, die wir einfach "Triebe" nennen. Wir haben auch Bedürfnisse, ich könnte jetzt auch den "Rückzugstrieb" erfinden, den "Gerechtigkeitstrieb" und auch den "Ordnungstrieb", den "Zahlenspieltrieb".
Jugendliche Autisten mit Spezialinteressen im politischen Bereich haben auch oft ein Faible für bestimmte Ideologien, die in sich geschlossene logisch strukturierte Erklärungsmodelle für die chaotische Welt anbieten.
Ob jemand für Faschismus anfällig ist, hat vermutlich nichts mit seiner neurologischen Konstitution zu tun. Die Nazis waren teilweise sehr intelligent und teilweise dumm wie ein Brot und die antifaschistischen Arbeiterführer waren auch teilweise hochintelligent und teilweise dumm wie ein Brot. Man findet an Stalin autistische Züge und auch an Gandhi.

Zitat:
... meist ist das Nachahmen ja trotzdem erkennbar als "irgendwie nicht dazugehörig". Entscheidend war im Bezug wohl, daß das so angenommen aus einem erholsamen Leben nicht bei Autisten als Trieb aufzutauchen scheint, wenn man mal von denjenigen absieht, die Autisten sind aber dazu tendenziell eh neigen.


Also, als ich damals auf diesem Treffen war (2007?), da habe ich schon zugesehen, dass ich meine Herde nicht verliere, als wir zum Beispiel in diesem Museum waren. Ich habe mich auch mal abgesondert, aber ohne meine Herde allein in einem Museum voller NAs hätte ich mich nicht wohl gefühlt.

Zitat:
Zitat:
... ein Autist hat eine bestimmte Funktions- oder Herangehensweise bei der Aufnahme, Verarbeitung und Reaktion auf Sinnesreiz XYZ.

Wenn man da den Kern sehen würde, wäre das konsequent. In Äußerlichkeiten wie die üblichen medizinischen Diagnosekriterien sehen wir ihn offenbar beide nicht. Ist wohl auch kein großes Wunder.

In der Tat.
Ich sehe aber die Ursache für die andere Herangehensweise in der (teilweisen oder vollständigen) Abwesenheit von unbewussten Filtermechanismen. Ich könnte auch das Wort "Fehlen" verwenden, das übrigens etwas anderes bedeutet als "Fehler", aber dazu weiter unten.

Zitat:
Zitat:
man denke an die Nazi-Zeit, als man den Kindern was von Rassekunde erzählt hat und so manche Oma meint noch in hohem Alter, dass die Türken unsauber seien

Sowas aus der Nazizeit? Oder war das ein ausgedachtes Beispiel?

Nein, das ist kein ausgedachtes Beispiel, sondern eine Erfahrung aus der Altenpflege.

Zitat:
Zitat:
Nichtsdestotrotz spreche ich im Bereich der Biologie von "Fehlen".

Schade.

Wie soll ich mich denn anders ausdrücken? Ich habe minus zwei Euro zuviel für den Bus? Der Mann dahinten hat einen negativen Arm zuviel? Man unterscheidet die Netzflügler von den Steinfliegen anhand der nur in einem Paralleluniversum existierenden Cerci?

Zitat:
Zitat:
Natürlich ist nicht jede Mutation negativ,

Aha, immerhin.

Das ist in der Biologie eine anerkannte Tatsache. Die Evolution funktioniert nicht ohne Mutationen und das Gen, das mutiert (unter höherem Umweltstress mit höherer Wahrscheinlichkeit) "weiß" ja nicht, was genau die Konsequenzen sind. "Gut" oder "schlecht" konstruiert sich für ein neues (mutiertes) Merkmal erst durch die Umwelt.

Zitat:
Zitat:
Eine Mutation [...] ist primär ein Lesefehler.

Nein.

Wenn du nein sagst, musst du auch sagen, was eine Mutation denn sonst ist, rein vom Ablauf her. Wie kommt es zu Mutationen, was passiert da genau? Ein Gen wird falsch gelesen oder falsch neu zusammengebaut. "Falsch" = nicht wie vorgesehen identisch mit der Vorlage.
"The way it should be" ist eine identische Kopie und die Abweichung ist durch einen Lesefehler zustande gekommen.
Genau so, als würde ich ein Buch abschreiben. Abweichungen vom Original sind Lese- oder auch Schreibfehler meinerseits. Natürlich entsteht nach Millionen Jahren dadurch etwas tolles neues, ein ganz anderes Buch. Und auch das ist dann "the way it should be", denn eine langsame Veränderung mit ein paar Mutationen hin und wieder sorgt dafür, dass unter sich ändernden Umweltbedingungen genügend Individuen oder Bücher existieren, die unter den neuen Bedingungen klar kommen oder den Menschen weiterhelfen.
"Fehler" ist nichts negatives. Würde ich keine Fehler haben, hätte ich auch keine Stärken. Würde ich keine Fehler machen, würde ich nichts dazu lernen. Fehler müssen einfach sein, sie sind sozusagen der Motor des Universums. Wo wären wir ohne diese kleinen Abweichungen vom Normalzustand "leerer Raum"?

Zitat:
Zitat:
wenn jemand mit 20 sterben muss, weil seine Atemmuskulatur sich immer weiter abbaut, weil sie z.B. aufgrund eines Gendefekts - und da ist wirklich einfach ein Gen defekt - kein Dystrophin erkennen kann.

Für mich ist das kein Defekt. Das ist Leben.

Das ist, mit Verlaub, Leben mit dem Defekt. Ich will nicht sagen, dass so ein Leben nicht erfüllt ist und dass man nicht trotzdem vieles erreichen kann, aber es ist einfach außer für die Persönlichkeitsentwicklung von jemandem wirklich kein Vorteil, so eine Krankheit zu haben.

Zitat:
Bezüglich "Krankheit" wäre halt die Frage, was Krankheit überhaupt sein soll. Bezüglich Behinderung ist für mich die Sache klar, der Punkt ist wohl, daß nicht der ganze Umfang dessen, was so jemanden bewegen könnte mit Behinderung zu tun hat.

Eine Krankheit ist in meinen Augen eine lebensbedrohende oder lebensverkürzende Angelegenheit, welche die Lebensqualität in einem Maße senkt, dass keine Barrierefreiheit der Welt helfen kann.
Wenn ich Grippe und hohes Fieber habe und blaue Elefanten an der Zimmerdecke sehe, dann bin ich ganz schön krank.

Bezüglich Behinderung sind natürlich Barrieren von der Umwelt konstruiert: Warum muss es überall Treppen und Stufen und kaputte Aufzüge geben? Andererseits würde ein Mensch, der sich nicht richtig bewegen kann auf einer einsamen Insel einfach zugrunde gehen und auch in einer Urgesellschaft würde man sich seiner vermutlich entledigen. Erst in unserer Überflussgesellschaft ist es möglich, diesen Menschen ein angenehmes Leben zu bereiten. Leider tut man das nicht, ohne den Betreffenden dafür ein schlechtes Gewissen einzureden.
Die Sache sieht ganz anders aus bei Gehörlosen oder Kleinwüchsigen. Wären alle so, gäbe es keine Behinderung.

Zitat:
Zitat:
Eine Bezeichnung wie "Neger" kann auch als Gewaltakt empfunden werden, wenn man Menschen dabei das Recht auf Selbstbezeichnung nimmt.

Umso mehr gilt das halt für sprachliche Zusammenhänge, die nicht recht frei deutbar sind? Gerade in Hinblick auf Begriffe mit allgemeinerem Bedeutungsumfang?

Das ist es eben, man kann nicht ein Wort wie "fehlen" verbieten, das in so vielen Zusammenhängen täglich gebraucht wird. Man müsste alle Synonyme auch verbieten, wie "Abwesenheit" und auch die Zahl "Null" müsste man abschaffen. Das hätte gewisse Auswirkungen auf das Dezimalsystem.

Hier geht es eigentlich nur darum, dass der Kern vermutlich zufällig aus dem Nichtvorhandensein von Etwas resultiert. Er resultiert vielleicht auch aus dem Vorhandensein von etwas anderem, nämlich den bewusst gesetzen Filtern, die wiederum bei NAs nicht anwesend sind, also fehlen.
Ich erkenne da die Pathologisierung nicht. Wenn Paul ein Arm fehlt oder den Netzflüglern die Cerci fehlen, dann sind das nur Merkmale, die ich beschreibe. Menschenaffen fehlt der Schwanz, daran erkennt man sie leicht. Paul ist der Einarmige, daran erkennt man ihn leicht. Mir fehlen die unbewussten Filtermechanismen, darum bin ich autistisch.
Wo ist das Problem?

Zitat:
Es ist kein Begriff wie "Fehler" der allgemein in verschiedenen Zusammenhängen sprachlich gebraucht wird und einen bestimmten Bedeutungsraum hat, der das Verständnis der meisten "Zuhörer" für den ganzen Zusammenhang erheblich mitprägt.

Verständnisproblem an dieser Stelle.

Zitat:
Zitat:
... Du empfindest "Fehlen von Filtern" als defizitär und pathologisierend und da ist für mich die Grenze erreicht, wo ich nicht mehr mit mache.

Und ich kann da jetzt gar nicht verstehen, was daran nicht nachvollziehbar sein soll, wenn ich "Fehler" da für einen gefährlichen Begriff halte. Diese Formulierung scheint für mich mit Neurodiverität als Ansatz völlig unvereinbar zu sein.


Fehlen und Fehler sind verschiedene Dinge. Fehlen beschreibt die Abwesenheit eines Schwanzes beim Menschen. Das soll auch so sein, denn die Anwesenheit eines Schwanzes wäre eine Art "Schönheitsfehler" in den Augen der meisten Menschen.
Neurodiversität beruht auf Diversität, also der Tatsache, dass mir die Multitaskingfähigkeit fehlt und meinen NA-Freunden fehlt die bewusste Wahrnehmung. Jeder Mensch hat irgendwelche Defizite.
Man kann natürlich auch alles positiv sehen: Ich habe eine tolle Fähigkeit und die anderen haben eine andere tolle Fähigkeit. Der eine hat Eigenschaft A und hat Eigenschaft B nicht, der andere hat Eigenschaft C und hat D nicht. Wie ich schon schrieb, könnte man den Satz "Frauen haben keinen Penis" als defizitär und pathologisierend, diskriminierend und frauenfeindlich bezeichnen und darauf bestehen, dass da steht "Frauen haben eine Klitoris UND eine Vagina".
Aber das ist in meinen Augen eine Debatte über "Wie verwende ich Sprache" oder "Wie verändern Bezeichnungen die Art und Weise, wie Dinge wahrgenommen werden" und ich finde, das führt immer mehr weg von den eigentlichen Problemen.
Klar kann man darüber auch mal nachdenken und drei Semester Philosophie studieren, aber man sollte darüber nicht vergessen, was eigentlich viel wichtiger ist.

Zitat:
Zitat:
Seit 8 Jahren geht es nur um dieses Thema, es ist nicht möglich, irgendeine Debatte zu führen ohne dieses Thema,

Also den Eindruck habe ich ehrlich gesagt nicht.

Ich bin nach langer Zeit mal wieder hier und was machen wir? Wir diskutieren über DAS THEMA.

Zitat:

Na und ich weise nur auf etwas hin, das ich in den letzten Jahren sogar zunehmend als immer wichtiger erkannt habe. Ich schreibe das hier ja nicht um dich zu ärgern.

Ach nicht? Dann sag das doch gleich!
Ich habe es in den letzten Jahren als immer unwichtiger erkannt. Gewisse Dinge haben sich ja durchgesetzt, "mongoloid" sagt man nicht mehr, "politischer Autismus" habe ich auch lange nicht gelesen, "schizophren" wird zum Beispiel auch kaum noch in den Medien synonym zu "gespalten" verwendet, weil die Schizos dann Sturm laufen. Die man nicht mehr Schizos nennen darf, sondern sie sind jetzt Psychotiker oder auch Menschen mit seelischem Handicap oder - sie sind sich noch nicht einig, glaube ich. Jeder für sich nicht, vermutlich.
Ja, wie du siehst, habe ich viel Freude am Randgruppen verspotten. Ich nehme gewisse Dinge mit Humor und komischerweise besteht mein gesamter Freundeskreis aus irgendwelchen Minoritätenangehörigen mit seltsamem Humor. Wir alle leiden unter Stigmatisierungen und machen uns darüber lustig und auch übereinander.

Das alles hat nichts damit zu tun, wie eine bestimmte Gruppe sich in der Öffentlichkeit dargestellt wissen will und welche Vokabeln sie sich "verbietet". Ich finde es schon sehr wichtig, dass man darauf achtet, diskriminierende Bezeichnungen zu vermeiden.
Aber wir sind hier nicht bei der FAZ und wir wollten eigentlich Autismus definieren.
Außerdem glaube ich nicht, dass die Mehrheit der Autisten sich an dem Wort "Fehlen" stört.
16.03.13, 04:31:47
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Fundevogel
(Angehörigenbereich)

geändert von: Fundevogel - 16.03.13, 12:33:12

Verstehe ich das richtig, dass du das Fehlen über ein Mehrheitsvorkommen definierst, also Minderheit etwas minder hat als andere?

Der Regisseur Michael Verhoeven sagte einmal, dass es unglaublich schwierig geworden sei, noch Schauspieler mit "Original"-Nasen zu bekommen und er für das Casting von angeborenen Nasen bis weit in östliche Länder fahren müsse.
Wenn angeborene natürliche Nasen hier nur noch bei Minderheiten zu finden wären/sind, ist das dann ein Fehlen?

Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. (Johannes 8.12).
Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. (Markus 4.21) (Lukas 8.16)
16.03.13, 12:29:03
Link
55555
(Fettnäpfchendetektor)

Wenn ich im Zusammenhang mit diesen sogenannten NA-Trieben von faschistischen Neigungen schreibe, dann nicht im Zusammenhang mit irgendeiner bestimmten Richtung. "Antifaschistische Arbeiterführer" waren nach meinen Begriffen wohl auch oft Faschisten. Ich führen den Begriff auf das Symbol des Büttels zurück: Eine Rute alleine bricht leicht, aber ein Bündel aus Ruten weit schwerer. Das ist ein Symbol für die Macht des Rudels und faschistische Systeme bauen meist ganz besonders auf das Rudelgefühls, für viele NA scheint das jeweils eine regelrechte emotionale Befreiung zu sein.

Und da meine ich halt, wenn es eine angeborene Veranlagung dazu gibt eher dazu zu neigen einem Rudel zu folgen und andere Rudel leicht pauschal emotional als Feind zu betrachten als eigene Positionen hochzuhalten und sich auf der Sachebene zu bewegen, dann ist das eine Veranlagung, die erhebliche Auswirkungen auf politische Realitäten in dieser Welt hat. Besonders in einer Welt, die aufgrund von Technologie nun von Großrudeln dominiert wird, die durch größere Machtanballung auch viel größere Instabilität mit sich bringen.

Selbst (vermutliche) NA-Autoren konstatieren ja mitunter "der Mensch" sei von seiner sozialen Veranlagung in der vorgeschichtlichen Zeit stehengeblieben, die zu entwickelten Vorstellungen von Zivilisation auch im Wertsinn nicht wirklich passt.
Zitat:
Ich halte mich mit Wertungen lieber zurück, denn NAs haben ihre Bedürfnisse, die wir einfach "Triebe" nennen. Wir haben auch Bedürfnisse, ich könnte jetzt auch den "Rückzugstrieb" erfinden, den "Gerechtigkeitstrieb" und auch den "Ordnungstrieb", den "Zahlenspieltrieb".

Woran ich das festmache ist mein Eindruck, der dahin geht, daß diese Veranlagung nicht zu allgemeinen Idealvorstellungen passt, ja diese geschichtlich gesehen aus meiner bisherigen Sicht immer wieder zum Scheitern gebracht hat. Es ist eine Veranlagung, die demnach gewissermaßen allgemeingefährlich fremdgefährend ist, durch die Autisten vielleicht nie längerfristig in Frieden leben können werden. Das kannst du natürlich gerne in Frage stellen.

"Rückzugstrieb" und "Zahlenspieltrieb" halte ich für nicht wirklich fundierte Ansätze die Realität zu beschreiben. Beim "Gerechtigkeitstrieb" und dem "Ordnungstrieb" käme es vielleicht schon hin. Und ich finde die Begriffe jetzt spontan ehrlich gesagt alles andere als schlimm.

Trieb als Begriff bezeichnet ja Veranlagungen, die wohl kulturübergreifend einen bestimmten menschlichen Archetypen (typischerweise) eigen sind. Bedürfnisse hingegen sind auch kulturabhängige Impulse, etc.
Zitat:
Spezialinteressen

Ist bei mir auch auf dem Index als bedenkliche Sonderbegrifflichkeit die zu Doppelstandards leitet, also hier zu Autistenfeindlichkeit.
Zitat:
Abwesenheit von unbewussten Filtermechanismen. Ich könnte auch das Wort "Fehlen" verwenden,

Wobei ich ja beide Begriffe als diskriminierend betrachte.
Zitat:
eine Erfahrung aus der Altenpflege.

Wundert mich, so eine Haltung scheint mir eher modern zu sein, damals waren die Osmanen ja deutsche Verbündete in WK1.
Zitat:
Wie soll ich mich denn anders ausdrücken?

"Weist kein XY auf"?
Zitat:
Man unterscheidet die Netzflügler von den Steinfliegen anhand der nur in einem Paralleluniversum existierenden Cerci?

Was du damit meinst verstehe ich nicht.
Zitat:
"Gut" oder "schlecht" konstruiert sich für ein neues (mutiertes) Merkmal erst durch die Umwelt.

Nein, durch einen bewertenden Betrachter.
Zitat:
Ein Gen wird falsch gelesen oder falsch neu zusammengebaut. "Falsch" = nicht wie vorgesehen identisch mit der Vorlage.

Der oft zu beobachtende Vorgang wird durch einen selten zu beobachtenden Vorgang ersetzt. Beide Vorgänge sind Grundlagen des Systems.
Zitat:
"Fehler" ist nichts negatives.

Doch, schon per Definition.
Zitat:
Würde ich keine Fehler haben, hätte ich auch keine Stärken.

Eine gerne verwendete Denkweise, die ich für unsinnig halte.
Zitat:
Würde ich keine Fehler machen, würde ich nichts dazu lernen. Fehler müssen einfach sein, sie sind sozusagen der Motor des Universums.

Dieser Haltung liegt eine Norm zugrunde, die du bei der Bewertung anlegst. Du kannst sicher als Mensch dahin streben wo du dein Ideal siehst. In dieser Diskussion geht es aber nicht um deine Bewertung deines Lebens, sondern darum, daß du dir auf begrifflicher Ebene das Recht herausnimmst für ganze Gruppen zu entscheiden was Norm sein soll. Z.B. daß allen Menschen ohne Arme, die Arme "fehlen".
Zitat:
aber es ist einfach außer für die Persönlichkeitsentwicklung von jemandem wirklich kein Vorteil, so eine Krankheit zu haben.

Hahaha, auweia.
Zitat:
Eine Krankheit ist in meinen Augen eine lebensbedrohende oder lebensverkürzende Angelegenheit, welche die Lebensqualität [...] senkt

Aha, ggf. ein neuer Thread dazu? Den Bezug auf die bloße Dauer eines Lebens finde ich schoneinmal ziemlich bedenklich. Denn die Dauer eines Lebens macht seinen Wert sicherlich nicht aus.
Zitat:
, welche die Lebensqualität in einem Maße senkt, dass keine Barrierefreiheit der Welt helfen kann.

Das ist eine hohe Hürde, so wie ich es verstehe.
Zitat:
Wenn ich Grippe und hohes Fieber habe und blaue Elefanten an der Zimmerdecke sehe, dann bin ich ganz schön krank.

Wieso bist du dann krank? Ist sie denn lebensbedrohend oder lebensverkürzend?
Zitat:
Andererseits würde ein Mensch, der sich nicht richtig bewegen kann

Mööp.
Zitat:
auf einer einsamen Insel einfach zugrunde gehen

Kann schon sein, vielleicht würde er auch gerade deswegen überleben, weil irgendwelche Inseltiere gerne Menschen töten, die sich schnell bewegen.
Zitat:
und auch in einer Urgesellschaft würde man sich seiner vermutlich entledigen.

Diese Annahme ist heute sehr verbreitet, ich halte sie für weitgehend anachronistisch. Diese Art von selektiver Behindertenfeindlichkeit hat sich in vielen Kulturen so wohl erst mit der Evolutionstheorie durchgesetzt. Es ist wohl auch ein Irrglaube es hätte in der "Vorzeit" ständig irgendwelchen existenziellen Mangel gegeben.
Zitat:
Erst in unserer Überflussgesellschaft ist es möglich, diesen Menschen ein angenehmes Leben zu bereiten.

Nö.
Zitat:
Das ist es eben, man kann nicht ein Wort wie "fehlen" verbieten, das in so vielen Zusammenhängen täglich gebraucht wird.

Will ich das denn?
Zitat:
Ich erkenne da die Pathologisierung nicht. Wenn Paul ein Arm fehlt [...]

...
Zitat:
Menschenaffen fehlt der Schwanz, daran erkennt man sie leicht.

Das Problem ist ja der Bezugspunkt, der da durch den Begriff "fehlen" in vergleichender Weise gesetzt wird. Der Schwanz fehlt halt nicht, es gibt in der Regel keinen. Und das auch noch wo wir in einer Gesellschaft leben, in der eine große Anzahl der Menschen alle mögliche Gewalt bis hin zur Ausrottung bei "Fehlern" für angemessen hält. Das ist wie vor einigen Jahrhunderten über jemanden zu sagen: "Das ist eine Hexe".
Zitat:
Paul ist der Einarmige, daran erkennt man ihn leicht.

Damit habe ich kein Problem.
Zitat:
Zitat:
Es ist kein Begriff wie "Fehler" der allgemein in verschiedenen Zusammenhängen sprachlich gebraucht wird und einen bestimmten Bedeutungsraum hat, der das Verständnis der meisten "Zuhörer" für den ganzen Zusammenhang erheblich mitprägt.

Verständnisproblem an dieser Stelle.

Beim Begriff "Fehler" denken ziemlich viele Menschen automatisch weiter, z.B. "das muß weg" oder gar "dann muß der weg".
Zitat:
Fehlen und Fehler sind verschiedene Dinge.

Aber beide Begriffe weisen hier auch entscheidende Ähnlichkeiten auf.
Zitat:
Fehlen beschreibt die Abwesenheit eines Schwanzes beim Menschen.

Ja.
Zitat:
Das soll auch so sein, denn die Anwesenheit eines Schwanzes wäre eine Art "Schönheitsfehler" in den Augen der meisten Menschen.

Das als Gegensatzpaar darzustellen passt nicht mit meiner Erfahrung der Denkgewohnheiten der Menschen zusammen. Pathologisierung arbeitet sehr oft mit der Konstruktion von vermeintlichem Fehlen. Das ist halt eine etablierte Denkschiene. Aber ich schau mir nochmal Sprachbeispiele an.
Zitat:
Jeder Mensch hat irgendwelche Defizite. Man kann natürlich auch alles positiv sehen:

Bist du sicher, daß du nicht doch weitgehend in Kategorien wie gut und schlecht denkst?
Zitat:
Wie ich schon schrieb, könnte man den Satz "Frauen haben keinen Penis" als defizitär und pathologisierend, diskriminierend und frauenfeindlich bezeichnen

Mache ich bei der Formulierung ja nun nicht.
Zitat:
Aber das ist in meinen Augen eine Debatte über "Wie verwende ich Sprache" oder "Wie verändern Bezeichnungen die Art und Weise, wie Dinge wahrgenommen werden" und ich finde, das führt immer mehr weg von den eigentlichen Problemen.

Nahezu überall wo man sich für irgendwas engagiert geht es auch um Begriffe. Begriffe transportieren halt Weltbilder, das muß man einfach zur Kenntnis nehmen.
Zitat:
Klar kann man darüber auch mal nachdenken und drei Semester Philosophie studieren, aber man sollte darüber nicht vergessen, was eigentlich viel wichtiger ist.

Es besteht ja keine Notwendigkeit zum entweder oder. In anderen Gruppen ist es wohl üblich als kleinstem Nenner auf begriffliche Bedenken Rücksicht zu nehmen oder halt "aktive" sachliche Bedenken und Verbesserungsideen zu besprechen. Ich weiß nicht, was daran im Autismuszusammenhang so schwer sein soll. Ist ja gerade hier so, daß doch ziemlich tolerant mit dem Thema umgegangen wird, eben niemand rausgeworfen wird, sondern versucht wird zu erklären, wieso das einigen wichtig erscheint.
Zitat:
Zitat:
Zitat:
Seit 8 Jahren geht es nur um dieses Thema, es ist nicht möglich, irgendeine Debatte zu führen ohne dieses Thema,

Also den Eindruck habe ich ehrlich gesagt nicht.

Ich bin nach langer Zeit mal wieder hier und was machen wir? Wir diskutieren über DAS THEMA.

Das heißt aber ja nicht, daß es nicht möglich ist. Du hast auch in anderen Threads geantwortet, lediglich hier geht es um Begrifflichkeiten um die wir nach meiner Erinnerung noch nicht diskutiert hatten.
Zitat:
Ich nehme gewisse Dinge mit Humor und komischerweise besteht mein gesamter Freundeskreis aus irgendwelchen Minoritätenangehörigen mit seltsamem Humor.

Nix dagegen.
Zitat:
Ich finde es schon sehr wichtig, dass man darauf achtet, diskriminierende Bezeichnungen zu vermeiden.

Aha?
Zitat:
Außerdem glaube ich nicht, dass die Mehrheit der Autisten sich an dem Wort "Fehlen" stört.

Soso.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
16.03.13, 13:36:11
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(Autistenbereich)

Zitat von Fundevogel:
Verstehe ich das richtig, dass du das Fehlen über ein Mehrheitsvorkommen definierst, also Minderheit etwas minder hat als andere?

Nein. Ein Beispiel: Den roten Blutkörperchen von Säugetieren fehlt der Zellkern. Alle anderen eukaryotischen Zellen bis hin zum Einzeller haben einen Zellkern und sind sogar danach benannt. Die roten Blutkörperchen von Vögeln haben auch einen. Die roten Blutkörperchen der Säugetiere funktionieren ohne Zellkern genau so gut, aber es fällt eben auf und ist eine einfache Möglichkeit, Säugetierblut zu erkennen. Auf einem Bauernhof sind Tiere, denen der Zellkern in den roten Blutkörperchen fehlt, die absolute Mehrheit. Es sei denn, es ist eine Geflügelfarm.
Säugetiere sind unter den Landwirbeltieren nicht eine Minderheit, auch keine Mehrheit, sondern einfach nur eine Gruppe G mit einem Merkmal M und Merkmal M = Fehlen von K.

Zitat von Fundevogel:

Wenn angeborene natürliche Nasen hier nur noch bei Minderheiten zu finden wären/sind, ist das dann ein Fehlen?

Wenn der Mehrheit natürliche Nasen (N) fehlen und nur noch bei Minderheiten zu finden sind, dann hat die Mehrheit der Menschen erst mal unnatürliche Nasen (U) und natürliche fehlen.
Dass jemand 2 Nasen oder keine hat, ist sehr selten, lassen wir das mal außen vor.

Mehrheit und Minderheit hat was mit Anzahl der Individuuen zu tun und nicht mit Ab- oder Anwesenheit von Merkmal N oder U.
Minderheit ist natürlich immer die zahlenmäßig kleinere Gruppe und nicht die Gruppe, denen ein bestimmtes Merkmal N fehlt. Wie im Beispiel der Blutkörperchen fehlt der absoluten Mehrheit der Säugetiere der Zellkern darin.

Was die Mehrheit der Menschen daraus konstruiert, wie zum Beispiel "unrasiert" konstruiert wird, um ein Fehlen von Hygiene zu suggerieren, statt darauf hinzuweisen, dass den Rasierten ja eigentlich was fehlt (Haare), steht auf einem ganz anderen Blatt.


Zitat von 55555:
Wenn ich im Zusammenhang mit diesen sogenannten NA-Trieben von faschistischen Neigungen schreibe, dann nicht im Zusammenhang mit irgendeiner bestimmten Richtung... Das ist ein Symbol für die Macht des Rudels und faschistische Systeme bauen meist ganz besonders auf das Rudelgefühls, für viele NA scheint das jeweils eine regelrechte emotionale Befreiung zu sein.

Das stimmt, aber sind die ideologischen Köpfe der Rudel nicht gefährlicher?

Zitat:
Und da meine ich halt, wenn es eine angeborene Veranlagung dazu gibt eher dazu zu neigen einem Rudel zu folgen und andere Rudel leicht pauschal emotional als Feind zu betrachten als eigene Positionen hochzuhalten und sich auf der Sachebene zu bewegen, dann ist das eine Veranlagung, die erhebliche Auswirkungen auf politische Realitäten in dieser Welt hat. ... "der Mensch" sei von seiner sozialen Veranlagung in der vorgeschichtlichen Zeit stehengeblieben...

Da stimme ich zu.

Zitat:
Es ist eine Veranlagung, die demnach gewissermaßen allgemeingefährlich fremdgefährend ist, durch die Autisten vielleicht nie längerfristig in Frieden leben können werden. Das kannst du natürlich gerne in Frage stellen.

Nein. Ich weiß, dass es so ist. Wir werden nie in Frieden leben. Ich war gerade auf einem Konzert und bin nach 30 Minuten wieder gegangen, weil es nicht möglich war, ruhig in der Ecke zu sitzen und Musik zu hören. Mal abgesehen von den Qualen, die ich am Einlass und beim Abgetastet werden erleiden musste - immerzu wurde um mich herumgehampelt, mir mit dem Ellenbogen haarscharf am Gesicht vorbei gewedelt - dabei hatte ich einen Sitzplatz - und dauernd musste laut gepfiffen und Woooohoooo! geschrien werden wie in einem Stadion. Ich konnte die eigentliche Musik nicht hören. Paul Kalkbrenner kann mich gerne zuhause besuchen und mir was vorspielen und diese Blitzlichtshow machen, aber so ein Konzert tue ich mir nicht mehr an. Ist ja lebensgefährlich.

Zitat:
"Rückzugstrieb" und "Zahlenspieltrieb" halte ich für nicht wirklich fundierte Ansätze die Realität zu beschreiben. Beim "Gerechtigkeitstrieb" und dem "Ordnungstrieb" käme es vielleicht schon hin. Und ich finde die Begriffe jetzt spontan ehrlich gesagt alles andere als schlimm.

Dann kann man sie ja verwenden. Ich finde, ich habe einen natürlichen Rückzugstrieb. Ich konnte jetzt nach dem Konzert meine ganze weitere Planung in die Tonne treten, vor Montag gehe ich nicht mehr raus.

Zitat:

Trieb als Begriff bezeichnet ja Veranlagungen, die wohl kulturübergreifend einen bestimmten menschlichen Archetypen (typischerweise) eigen sind. Bedürfnisse hingegen sind auch kulturabhängige Impulse, etc.

Ja, da kann ich zustimmen. Für mich ist Trieb eigentlich das, was tun würde, wenn ich mich nicht benehmen müsste.
Kann man auch Bedürfnis nennen, aber für mich ist das schwer zu trennen. Gesondert diskutieren?

Dass "Spezialinteressen" zu Autistenfeindlichkeit leiten können, ist wahr und es nervt mich auch, dass alles, das mich interessiert, gleich ein Spezialinteresse sein muss. Eine Frau hier schrieb ja sogar, sie sei das Spezialinteresse ihres Freundes, das hat mich schon etwas betroffen gemacht.
Er steht auch in den Diagnosekriterien.
Trotzdem werde ich es verwenden, wenn ich mich verständlich machen muss.

"Abwesenheit" und "Fehlen" von irgendwas ist an sich nicht diskriminierend, es kommt auf den Zusammenhang an. Wenn ein Roman sich durch die Abwesenheit von schlechten Kritiken auszeichnet, diskriminiert das nicht den Roman.
Was sind denn Filter? Wollen wir die überhaupt? Ich will sie nicht, ich möchte nur, dass die anderen nicht dauernd so laut schreien und rumhampeln wie auf dem Kinderspielplatz.

Zitat:

Wundert mich, so eine Haltung scheint mir eher modern zu sein, damals waren die Osmanen ja deutsche Verbündete in WK1.

Vielleicht hast du mich falsch verstanden. Es geht denen um "Rasse". Schwarze Haare und dunkle Haut ist in den Augen solcher Leute minderwertig. Sie würden es nie zugeben, dass sie so fühlen, aber man merkt es an Details.

Zitat:
Zitat:
Wie soll ich mich denn anders ausdrücken?

"Weist kein XY auf"?

Und dann findest du es nicht diskriminierend, dass Autisten keine Filter aufweisen? Was ist das denn bitte für eine Haarspalterei!

Zitat:
Zitat:
"Gut" oder "schlecht" konstruiert sich für ein neues (mutiertes) Merkmal erst durch die Umwelt.

Nein, durch einen bewertenden Betrachter.

Den braucht es in der Biologie nicht, da sind wertende Betrachter eine relativ neumodische Erscheinung. Und doch hat es sich für die Dinosaurier als negativ herausgestellt, groß zu sein unter Umweltbedingung XYZ.

Zitat:
Zitat:
Ein Gen wird falsch gelesen oder falsch neu zusammengebaut. "Falsch" = nicht wie vorgesehen identisch mit der Vorlage.

Der oft zu beobachtende Vorgang wird durch einen selten zu beobachtenden Vorgang ersetzt. Beide Vorgänge sind Grundlagen des Systems.

Ja, natürlich passiert der Fehler selten und er ist im System mit "eingeplant" als wichtiges Element.

Zitat:
Zitat:
Würde ich keine Fehler haben, hätte ich auch keine Stärken.

Eine gerne verwendete Denkweise, die ich für unsinnig halte.

Ich gar nicht, denn meine Fehler und Stärken sind sogar identisch oder resultieren aus derselben Ursache. Meine Fehler oder Normabweichungen machen mich auch erst zu einem Individuum. An diesem Punkt kann ich "Fehler" und "Stärke" sogar synonym verwenden. Es ist eine Frage des Blickwinkels. Ich komme weiter unten noch dazu.

Zitat:

Dieser Haltung liegt eine Norm zugrunde, die du bei der Bewertung anlegst.

Sicher liegt bei allen Vergleichen oder Versuchen, Dinge zu bezeichnen und zu beschreiben das zugrunde, was wir kennen oder was wir als den Zustand betrachten, der als Realität festgestellt wird. Zum Beispiel gilt es allgemein als anerkannte Tatsache, dass Frauen keinen Penis haben. Wenn ich nun eine sehen würde, die einen hat, dann wäre ich erstaunt und es könnte passieren, dass sie im Freundeskreis "die mit dem *ihrwisstschon*" genannt wird.

Zitat:

Du kannst sicher als Mensch dahin streben wo du dein Ideal siehst. In dieser Diskussion geht es aber nicht um deine Bewertung deines Lebens, sondern darum, daß du dir auf begrifflicher Ebene das Recht herausnimmst für ganze Gruppen zu entscheiden was Norm sein soll. Z.B. daß allen Menschen ohne Arme, die Arme "fehlen".

Da gibt es eine Doppelbedeutung von "fehlen", zuerst einmal sind die Arme nicht da und dann werden sie entweder vermisst oder nicht. Ich meine mit "fehlen" die Tatsache, dass 0 (Null) Stück von etwas vorhanden sind. Wie jemand mit der Abwesenheit von zum Beispiel einem Penis umgeht, steht ja auf einem ganz anderen Blatt und ist nicht die rational- sachliche Bedeutung, sondern eine emotionale. "Meine Zyste fehlt mir nicht" kann missverständlich sein, wurde sie entfernt oder nicht? Oder wird gerade in einem geheimen unterirdischen Labor von angehenden Medizinstudenten gequält? Hm.

Zitat:
Zitat:
Eine Krankheit ist in meinen Augen eine lebensbedrohende oder lebensverkürzende Angelegenheit, welche die Lebensqualität [...] senkt

Aha, ggf. ein neuer Thread dazu? Den Bezug auf die bloße Dauer eines Lebens finde ich schon einmal ziemlich bedenklich. Denn die Dauer eines Lebens macht seinen Wert sicherlich nicht aus.

Das habe ich auch nicht gesagt. Über "Wert" habe ich nicht gesprochen. Man könnte sich außerdem mal von der Vorstellung verabschieden, dass krank = weniger wert ist.
Ich würde so etwas lieber mit Leuten diskutieren, die sich selbst als "krank" bezeichnen nach obiger Definition.

Zitat:
Zitat:
, welche die Lebensqualität in einem Maße senkt, dass keine Barrierefreiheit der Welt helfen kann.

Das ist eine hohe Hürde, so wie ich es verstehe.

So hoch wie ein Grabstein quasi.

Zitat:
Zitat:
Wenn ich Grippe und hohes Fieber habe und blaue Elefanten an der Zimmerdecke sehe, dann bin ich ganz schön krank.

Wieso bist du dann krank? Ist sie denn lebensbedrohend oder lebensverkürzend?

Potentiell ja und sie beeinträchtigt die Lebensqualität in diesem Moment enorm. Ich bin dann krank, weil ich mich krank fühle, Schmerzen habe, und mich so bezeichne und weil ich nichts machen kann.
Wenn das zum Dauerzustand wird, gewöhne ich mich vielleicht daran, *krank* ist dann *normal*, dann geht es nur noch um Barrieren und Schmerzmittel und vielleicht fühle ich mich dann nicht mehr krank, sondern an meiner Entfaltung gehindert. Könnte durchaus passieren.
Sicher ist das im Einzelfall schwer zu differenzieren, aber der Begriff "krank" ist klar pathologisierend, allein die Wortbedeutung. "Fehlen eines Merkmals" in meinen Augen nicht generell.

Zitat:

Kann schon sein, vielleicht würde er auch gerade deswegen überleben, weil irgendwelche Inseltiere gerne Menschen töten, die sich schnell bewegen.

Wenn jemand auf seinem Bauch kriechend 10 Meter in der Stunde schafft und jede Überanstrengung die Krankheit verschlimmert, wird er allein nicht überleben, es sei denn, es fliegen gebratene Tauben rum.

Zitat:
Zitat:
und auch in einer Urgesellschaft würde man sich seiner vermutlich entledigen.

Diese Annahme ist heute sehr verbreitet, ich halte sie für weitgehend anachronistisch. Diese Art von selektiver Behindertenfeindlichkeit hat sich in vielen Kulturen so wohl erst mit der Evolutionstheorie durchgesetzt. Es ist wohl auch ein Irrglaube es hätte in der "Vorzeit" ständig irgendwelchen existenziellen Mangel gegeben.

Nun, ich kenne mich da ein bisschen aus mit der Urgesellschaft und darum steht da auch "vermutlich".
Heutzutage entledigen sich Frauen in armen Ländern ihrer weiblichen Embryonen oder auch Neugeborenen, weil es einen geringen Vorteil ergibt. Sie tun das unter dem Druck der Umwelt, ihrer Männer vor allem. Kindstötung in schlechten Zeiten ist nichts typisch menschliches und keine Erfindung der Neuzeit.

Zitat:
Zitat:
Erst in unserer Überflussgesellschaft ist es möglich, diesen Menschen ein angenehmes Leben zu bereiten.

Nö.

Ohne Überfluss kann ich niemanden mit durchbringen, der kommplett gelähmt ist, selbst wenn es ein guter Entertainer ist. Die Versuchung ist schon groß, demjenigen weniger Essen zu geben, wenn alle hungern. Oder ihn zu vernachlässigen.
Aber darauf will ich gar nicht hinaus. Mir geht es darum, dass wir problemlos jedem ein angenehmes Leben bereiten könnten, ohne demjenigen ein schlechtes Gewissen von wegen "der Gesellschaft auf der Tasche liegen" einzureden. Ohne ihm von Anfgang an durch Kasernierung in Spezialschulen, in denen ihm Bildungschancen vorenthalten werden, das Leben zu verbauen.

Normalerweise läuft das so: Du kannst nicht laufen --> die anderen hänseln dich --> die Schule kann die Verantwortung nicht mehr übernehmen --> du kommst auf die Sonderschule --> du machst Hauptschulabschluss in 10 Jahren --> du machst eine Lehre in einer Behindertenwerkstatt, wo man dir Vorschriften macht wie einem Kleinkind --> du ziehst in ein Heim, wo du überwacht wirst --> du arbeitest 20 Jahre in der Werkstatt für 68 Euro im Monat, damit du Anspruch auf Rente hast --> du bist Rentner.
Da führt kein Weg raus. Das ist dein Weg, wenn du nicht laufen kannst. Was du stattdessen Tolles kannst, ist egal. Wenn du ausbrechen willst, kriegst du Ärger mit der Heimleitung. Es ist moderne Sklavenhaltung.
Wir könnten all diesen Menschen ein angenehmes Leben bereiten und in früheren Zeiten wäre das nicht so ohne weiteres gegangen.

Ob du das Wort "fehlen" verbieten willst - klang fast so.

Zitat:
Zitat:
Menschenaffen fehlt der Schwanz, daran erkennt man sie leicht.

Das Problem ist ja der Bezugspunkt, der da durch den Begriff "fehlen" in vergleichender Weise gesetzt wird. Der Schwanz fehlt halt nicht, es gibt in der Regel keinen.

Ist das nicht auch pathologisierend? Ich finde das wirklich Haarspalterei und denke, dass es wichtigeres gibt. Was ist jetzt pathologisierend und was nicht:
"Im Vergleich zu anderen Primaten fällt auf, dass Menschaffen keinen Schwanz haben/ dass Menschenaffen der Schwanz fehlt/ dass bei Menschenaffen der Schwanz nicht ausgebildet wird/ist/ dass bei Menschenaffen der Schwanz abwesend oder nur rudimentär ausgeprägt ist/ dass Menschenaffen nicht über einen Schwanz verfügen/ keinen besitzen."

Zitat:
Und das auch noch wo wir in einer Gesellschaft leben, in der eine große Anzahl der Menschen alle mögliche Gewalt bis hin zur Ausrottung bei "Fehlern" für angemessen hält. Das ist wie vor einigen Jahrhunderten über jemanden zu sagen: "Das ist eine Hexe".

... Beim Begriff "Fehler" denken ziemlich viele Menschen automatisch weiter, z.B. "das muß weg" oder gar "dann muß der weg".

Vielleicht liegt da der Fehler. Sich dem unterzuordnen in seinem Denken und Sprechen, dass jemand anders bei "Fehler" gleich an "ausmerzen" denkt und nicht an "Vielfalt".
Wird schwer.
Nun ist Fehler ≠ Fehlen, Messer ≠ Messen... gemeinsamer Wortstamm ≠ identische Bedeutung.
Der Aufwand, den Leuten beizubringen, "Fehlen" nicht pathologisch zu sehen ist derselbe wie alle dazu zu bringen, das Wort nicht in bestimmten Zusammenhängen zu verwenden.
Der Aufwand "schwul" nicht mehr negativ zu sehen war derselbe wie "Neger" nicht mehr zu benutzen. Worte verbannen und Wortbedeutungen ändern ist gleich schwer.

Zitat:
Zitat:
Fehlen beschreibt die Abwesenheit eines Schwanzes beim Menschen... die Anwesenheit eines Schwanzes wäre eine Art "Schönheitsfehler"

Das als Gegensatzpaar darzustellen passt nicht mit meiner Erfahrung der Denkgewohnheiten der Menschen zusammen. Pathologisierung arbeitet sehr oft mit der Konstruktion von vermeintlichem Fehlen. Das ist halt eine etablierte Denkschiene. Aber ich schau mir nochmal Sprachbeispiele an.

Ja, ich weiß eins, dem Gehörlosen fehlt das Gehör, dem Stummen fehlt die Sprache, darum soll man "gehörlos" sagen, denn die Sprache fehlt ja gar nicht, sie ist nur anders.
Nur leider weist "xyz-los" auch auf ein Fehlen hin. Dann sollen sie sich doch "Gebärder" nennen und die anderen die "Gebärdenlosen", das wäre konsequent.
Die Gebärdenlosen, die Rollilosen... und nicht sich selbst die Gehörlosen. Die Schwulen nennen sich auch nicht die Fraulosen.

Zitat:
Zitat:
Jeder Mensch hat irgendwelche Defizite. Man kann natürlich auch alles positiv sehen:

Bist du sicher, daß du nicht doch weitgehend in Kategorien wie gut und schlecht denkst?

Situationsbezogen sicher. Warm angezogen sein im Sommer ist schlecht, im Winter ist es gut.
Alkoholikerin sein ist für eine Deutschlehrerin schlecht, bei einem Rockstar egal.
Probleme mit der nonverbalen Kommunikation haben ist schlecht in einem Vorstellungsgespräch, egal beim Aquariumreinigen und gut bei einer RTL-Vorabendserie, weil dann das schlechte Schaupiel nicht so auffällt.
Übergenau sein ist eine Schwäche, wenn man etwas schnell improvisieren soll und eine Stärke, wenn man etwas langfristig plant.
Alle autistischen und nichtautistischen Schwächen/Defizite sind gleichzeitig auch Stärken und umgekehrt. Nenn mir irgendeine - ist immer Situationsbezogen. Mal ist es gut, mal ist es schlecht.
Das ist *objektiv* so.

Brustkrebs hingegen ist immer schlecht und da liegt es an jedem selbst, etwas Gutes drin zu finden.
Ich bin sowieso dagegen, Autismus dauernd mit Krankheiten wie Krebs oder Behinderungen wie der Glasknochenkrankheit in einen Sack zu stecken, denn bei uns kommt es SEHR auf die Umwelt an und SEHR auf die Sichtweise und SEHR auf die Situation, ob "Autistische Eigenschaft XYZ" ein Defizit ist oder göttliche Genialität. Autismus ist keine Behinderung, Autismus scheint lediglich in Nichtautisten die Lust zu erwecken, Autisten zu behindern. Aber ob man das von anderen "Behinderungen" auch sagen kann, weiß ich nicht und ob jeder Autist das so sieht, wage ich auch zu bezweifeln.

Zitat:

Nahezu überall wo man sich für irgendwas engagiert geht es auch um Begriffe. Begriffe transportieren halt Weltbilder, das muß man einfach zur Kenntnis nehmen.

Das weiß ich doch schon lange, aber im Moment hält mich das auf. Du gehst gerade sehr geisteswissenschaftlich an die Aufgabenstellung heran, das wäre eigentlich mein Job. Aber wie ich sagte, ich habe das alles schon so was von zu Tode diskutiert, auch in anderem Zusammenhang, ich hab keinen Bock, über Begriffe zu reden, bevor nicht der Kern des Autismus gefunden ist. Musst du auch zur Kenntnis nehmen.
Wir waren an dem Punkt, dass es etwas mit fehlenden (unbewussten) Wahrnehmungsfiltern zu tun hat und du störst dich an der "defizitären" Formulierung.

Zitat:

Es besteht ja keine Notwendigkeit zum entweder oder. In anderen Gruppen ist es wohl üblich als kleinstem Nenner auf begriffliche Bedenken Rücksicht zu nehmen oder halt "aktive" sachliche Bedenken und Verbesserungsideen zu besprechen. Ich weiß nicht, was daran im Autismuszusammenhang so schwer sein soll. Ist ja gerade hier so, daß doch ziemlich tolerant mit dem Thema umgegangen wird, eben niemand rausgeworfen wird, sondern versucht wird zu erklären, wieso das einigen wichtig erscheint.

Ich kann mich nicht um 2 Sachen gleichzeitig kümmern. Und du kümmerst dich ja schon um die Begriffsdebatte. Ich bin durch damit. So lange mich keiner krank oder betroffen nennt, ist alles gut.

Zitat:

Zitat:
Ich finde es schon sehr wichtig, dass man darauf achtet, diskriminierende Bezeichnungen zu vermeiden.

Aha?

Ja, aber außer dir findet vermutlich niemand "Fehlen von Filtern" diskriminierend. Ist nun mal so, Filter fehlen nun mal, was soll's. Ich leb ganz ganz gut ohne und hab meine eigenen.
17.03.13, 03:19:57
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Fundevogel
(Angehörigenbereich)

Deine Erklärung bestätigt eher meinen Zweifel an deiner Version: Ich würde nicht sagen, dass der Minderheit ein Zellkern fehlt, sondern dass die Minderheit gemessen an der Mehrheit keinen hat. Das wäre auch die wissenschaftlich korrekte Aussage. Beide Vorkommen funktionieren ja prima und so wäre "Fehlen" in jeglicher Bedeutung hier die falsche Zuweisung.

Bei meiner 2. Frage ging es mir darum zu erkennen, dass die Minderheit die ursprüngliche Schöpfung ist, während die Mehrheit eine künstliche Form angenommen hat. Da du ja bei der Mehrheit nicht formulierst: "Diese Art hat andere Merkzeichen als eine Minderheit ..." sondern der Minderheit ein nicht neutrales "Fehlen" zuweist, besteht sehr wohl bei dir eine Ausrichtung auf ein Mehrheitsvorkommen.

Was wäre denn die korrekte Bezeichnung im Fall des absichtlich gewählten Beispieles der vertauschten Rollen der Nasen:
"Den natürlichen Nasen fehlt die Unnatürlichkeit?"...oder wäre geeigneter "Dem Mehrheitsvorkommen der unnatürlichen Nasen fehlt die Natürlichkeit?"...oder "Es gibt eine große Anzahl X von unnatürlichen Nasen und eine kleine Anzahl Y von natürlichen"?.

Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. (Johannes 8.12).
Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es denn allen, die im Hause sind. (Markus 4.21) (Lukas 8.16)
17.03.13, 14:29:16
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

geändert von: 55555 - 17.03.13, 17:55:18

Zitat:
Das stimmt, aber sind die ideologischen Köpfe der Rudel nicht gefährlicher?

Was ist dein Gedankengang? Daß diese "Köpfe" oft Autisten wären? Das Thema der NA-Rudelfaschismus-Veranlagung wäre vielleicht auch in einem neuen Thread besser aufgehoben? Dazu gab es soweit ich mich erinnere auch schonmal ein wenig Diskussion (meist weil sich jemand beleidigt fühlte).
Zitat:
Wir werden nie in Frieden leben. Ich war gerade auf einem Konzert und bin nach 30 Minuten wieder gegangen,

Nun ist "in Frieden leben" ja nicht unbedingt identisch mit "überall mitmachen können ohne Schaden zu nehmen". Was ich meinte war eher die Gefahr durch diese NA-Gewohnheit immer wieder in Banden irgendwelche Mordaktionen, Kriege durchzuführen und damit den Rest der Menschheit in geschichtlichen Dimensionen immer wieder erheblich zu schädigen. Es ist eine Ironie der NA-Dominanz (infolge dieser Gewaltausübung?), daß diese Veranlagung als geistig gesund getrachtet wird.
weil es nicht möglich war, ruhig in der Ecke zu sitzen und Musik zu hören. Mal abgesehen von den Qualen, die ich am Einlass und beim Abgetastet werden erleiden musste - immerzu wurde um mich herumgehampelt, mir mit dem Ellenbogen haarscharf am Gesicht vorbei gewedelt - dabei hatte ich einen Sitzplatz - und dauernd musste laut gepfiffen und Woooohoooo! geschrien werden wie in einem Stadion. Ich konnte die eigentliche Musik nicht hören. Paul Kalkbrenner kann mich gerne zuhause besuchen und mir was vorspielen und diese Blitzlichtshow machen, aber so ein Konzert tue ich mir nicht mehr an. Ist ja lebensgefährlich.
Zitat:
Zitat:
"Rückzugstrieb" und "Zahlenspieltrieb" halte ich für nicht wirklich fundierte Ansätze die Realität zu beschreiben.

Dann kann man sie ja verwenden. Ich finde, ich habe einen natürlichen Rückzugstrieb.

Ähm ja. Wenn ich schrieb, daß ich diese Konstrukte soweit der Begriff den Inhalt nahelegt nicht fundiert finde, dann in diesem Fall deswegen, weil eine Folge von Diskriminierung kein veranlagter Trieb einer Minderheit ist. Genauso wie man einem Schwulen keinen Rückzugstrieb andichten kann, weil er Skins lieber aus dem Weg geht.
Zitat:
Ja, da kann ich zustimmen. Für mich ist Trieb eigentlich das, was tun würde, wenn ich mich nicht benehmen müsste.

Wenn du so willst.
Zitat:
Kann man auch Bedürfnis nennen, aber für mich ist das schwer zu trennen. Gesondert diskutieren?

Naja, Bedürfnis wäre dann aus meiner Sicht ein allgemeinerer Überbegriff. Meinetwegen gesondert diskutieren.
Zitat:
Trotzdem werde ich es verwenden, wenn ich mich verständlich machen muss.

??? Verständlich machen ungleich anderen verständlich machen was eigentlich Sache ist?
Zitat:
Den braucht es in der Biologie nicht,

Genau, meine ich auch. Leider ist das bei vielen Biologen noch nicht so wirklich angekommen.
Zitat:
Und doch hat es sich für die Dinosaurier als negativ herausgestellt, groß zu sein unter Umweltbedingung XYZ.

Wir schreiben hier von einer Artengattung, die eine sehr lange Zeit sehr verbreitet existierte, richtig? Meines Wissens übrigens nicht unbedingt eine Gattung, die immer groß war, sondern der es oft eigen war schlichtweg nicht irgendwann aufzuhören weiterzuwachsen, wie das bei uns so üblich ist, wenn es genug Futter gibt. Weißt du, ob das der Faktor war, der für den Niedergang unter irgendwelchen Umständen ursächlich war? Und viele Biologen werten halt heute sogar ohne zumindestens bestimmte Bedingungen zu beschreiben. Wie du auch vor einigen Beiträgen.
Zitat:
Man könnte sich außerdem mal von der Vorstellung verabschieden, dass krank = weniger wert ist.

Krankheit = soll weg. Richtig?
Zitat:
Ich würde so etwas lieber mit Leuten diskutieren, die sich selbst als "krank" bezeichnen nach obiger Definition.

Bezogen auf Autisten?
Zitat:
Potentiell ja und sie beeinträchtigt die Lebensqualität in diesem Moment enorm.

Jetzt wird es interessant. Parkplatznot als Krankheit? Muß das Gesundsheitsamt aktiv werden?
Zitat:
Wenn das zum Dauerzustand wird, gewöhne ich mich vielleicht daran, *krank* ist dann *normal*, dann geht es nur noch um Barrieren und Schmerzmittel und vielleicht fühle ich mich dann nicht mehr krank, sondern an meiner Entfaltung gehindert. Könnte durchaus passieren.

Und was denkst du nun zu Katalogen, in denen unheimlich schlaue Menschen objektiv festzulegen versuchen, was krank ist?
Zitat:
Wenn jemand auf seinem Bauch kriechend 10 Meter in der Stunde schafft und jede Überanstrengung die Krankheit verschlimmert, wird er allein nicht überleben, es sei denn, es fliegen gebratene Tauben rum.

Irgendwas nahrhaftes am Boden reicht schon. Und die bunten Vögel nehmen ihm sogar nach den ersten Tagen den Streß.

Aber Menschenrechte im Zeitalter von Hochspezialisierung gehen ja eh nicht von archaischen Survivalfähigkeiten aus?
Zitat:
Heutzutage entledigen sich Frauen in armen Ländern ihrer weiblichen Embryonen oder auch Neugeborenen, weil es einen geringen Vorteil ergibt. Sie tun das unter dem Druck der Umwelt, ihrer Männer vor allem.

Ja.
Zitat:
Vielleicht liegt da der Fehler. Sich dem unterzuordnen in seinem Denken und Sprechen, dass jemand anders bei "Fehler" gleich an "ausmerzen" denkt und nicht an "Vielfalt".
Wird schwer.

Wollen wir mal untersuchen wieviele Menschen "Fehler" in Verbindung mit mindestens solide wertneutraler "Vielfalt" bringen?
Zitat:
Der Aufwand, den Leuten beizubringen, "Fehlen" nicht pathologisch zu sehen ist derselbe wie alle dazu zu bringen, das Wort nicht in bestimmten Zusammenhängen zu verwenden.

Leider meint "fehlen" ja oft in anderen Zusammenhängen eben ein ungutes Defizit: "Es fehlt Geld in der Kasse", "Du fehlst mir.", "Das ist voller Rechtschreibfehler", etc.
Zitat:
Der Aufwand "schwul" nicht mehr negativ zu sehen war derselbe wie "Neger" nicht mehr zu benutzen. Worte verbannen und Wortbedeutungen ändern ist gleich schwer.

Mit dem Unterschied, daß Schwule mit der Umbewertung des Eigennamens gleich die Akzeptanz mitförderten, aber bei den Negern nun irgendwelche anderen Begriffe mit in etwa der Einstellung von früher verwendet werden. Der Lerneffekt von "Neger ist ein böses Wort" ist halt beschränkt z.B. im Vergleich zu "Wir Neger können alles was ihr auch könnt". Vielleicht fällt den Negern ja schwerer als Minderheit zu erklären, weil sie nicht überall Minderheit sind wie Schwule (abgesehen von gewissen neueren Stadtteilen, etc.)
Zitat:
Nur leider weist "xyz-los" auch auf ein Fehlen hin.

Kann man so sehen, das müssen die selbst wissen. Viele Selbsthilfeaktivisten verstehen ja erschreckend wenig von Ansätzen entsprechend aktuellen Erkenntnisstands. Ist leider ein Teil des Problems.

Oder verlosen die da was?
Zitat:
Aber ob man das von anderen "Behinderungen" auch sagen kann, weiß ich nicht und ob jeder Autist das so sieht, wage ich auch zu bezweifeln.

Das sollten diese Gruppen vielleicht selbst allgemeingültig entscheiden, statt irgendwelche Wertungen von der Mehrheit vorgeschrieben zu bekommen? Dazu hatte ich ja mal einen Entwurf gemacht, siehe Bundestagspetition auf der ESH-Site.
Zitat:
aber im Moment hält mich das auf.

Bei was?
Zitat:
das wäre eigentlich mein Job.

Häh?
Zitat:
Ich bin durch damit. So lange mich keiner krank oder betroffen nennt, ist alles gut.

Gerade vor einigen Tagen hatte gemand darüber gelästert, daß wir hier ja den Begriff "betroffen" ablehnen würden.
Zitat:
aber außer dir findet vermutlich niemand "Fehlen von Filtern" diskriminierend.

Und das nach dem Beitrag von Fundevogel ...

Edit: Ich habe nochmal zum Definitionsthema nachgelesen wo wir eigentlich verblieben waren. Wir scheinen uns einig zu sein, daß die Wahrnehmung von Autisten direkter ist, durchschnittliche Nichtautisten in der Verarbeitung von Sinnesreizen determinierter sind, weniger Freiheit haben.

Die interessanteste Frage wäre nun wohl, ob das der Kern sein könnte. Also ob diese Veranlagung praktisch immer zu dem führt, was "Autismus" genannt wird und nach einer sauberen Reorganisation auch in diese Gruppe gehören würde.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
17.03.13, 17:07:42
Link
eraser
(Autistenbereich)

Zitat von Fundevogel:
Deine Erklärung bestätigt eher meinen Zweifel an deiner Version: Ich würde nicht sagen, dass der Minderheit ein Zellkern fehlt, sondern dass die Minderheit gemessen an der Mehrheit keinen hat. Das wäre auch die wissenschaftlich korrekte Aussage. Beide Vorkommen funktionieren ja prima und so wäre "Fehlen" in jeglicher Bedeutung hier die falsche Zuweisung.

Wir reden vielleicht aneinander vorbei. Mir geht es nur darum, dass diejenigen, denen was fehlt, nicht automatisch die Minderheit sind. Weiter darum, dass ein Fehlen nicht negativ ist, sondern einfach nur objektiv ein Merkmal beschreibt. Außerdem darum, dass Minderheit und Minderwertigkeit nicht in einen Topf geworfen werden. Viele machen das, aber der erste Begriff bezeichnet die zahlenmäßig kleinere Gruppe und der zweite ist ein absurdes Konstrukt.
Für mich ist "Fehlen von Merkmal XYZ" eine objektive Beschreibung. "Keinen hat" oder "nicht vorhanden" oder "fehlt" bedeutet genau dasselbe i.m.h.o.

Zitat von Fundevogel:

Bei meiner 2. Frage ging es mir darum zu erkennen, dass die Minderheit die ursprüngliche Schöpfung ist, während die Mehrheit eine künstliche Form angenommen hat. Da du ja bei der Mehrheit nicht formulierst: "Diese Art hat andere Merkzeichen als eine Minderheit ..." sondern der Minderheit ein nicht neutrales "Fehlen" zuweist, besteht sehr wohl bei dir eine Ausrichtung auf ein Mehrheitsvorkommen.

Das steht da nicht, sondern da steht: "Wenn der Mehrheit natürliche Nasen (N) fehlen und nur noch bei Minderheiten zu finden sind, dann hat die Mehrheit der Menschen erst mal unnatürliche Nasen (U) und natürliche fehlen." Hier weise ich also der Mehrheit ein Fehlen zu und gehe weiter unten auf die Tatsache ein, dass Mehrheiten gern die Tatsachen verdrehen und der Minderheit ein Fehlen zuweisen wollen, was mich in dem Moment, in dem ich überlege, was die autistische Wahrnehmung von der nichtautistischen unterscheidet, aber erstmal egal ist.
Ich beschäftige mich momentan mit der autistischen Wahrnehmung von Reizen aus naturwissenschaftlicher Sicht und nicht mit der nichtautistischen Wahrnehmung von Begriffen aus geisteswissenschaftlicher Sicht.

Zitat:
Was wäre denn die korrekte Bezeichnung im Fall des absichtlich gewählten Beispieles der vertauschten Rollen der Nasen:
"Den natürlichen Nasen fehlt die Unnatürlichkeit?"...oder wäre geeigneter "Dem Mehrheitsvorkommen der unnatürlichen Nasen fehlt die Natürlichkeit?"...oder "Es gibt eine große Anzahl X von unnatürlichen Nasen und eine kleine Anzahl Y von natürlichen"?.

Ich sehe da keine vertauschte Rolle, ich sehe 2 Gruppen, die sich in einem Merkmal unterscheiden. Das ursprünglich weit verbreitete Merkmal N ist jetzt nur noch bei einer Minderheit anzutreffen.
So etwas passiert in der Biologie nicht selten.
Künstliche Nasen sind zwar nur indirekt eine evolutionäre Entwicklung und vererben sich auch nicht (höchstens kulturell), aber egal.
Was den natürlichen Nasen fehlt, ist die Künstlichkeit und was den unnatürlichen fehlt, ist die Natürlichkeit. Für welche Art von Nase ich mich entscheide, was ich "besser" finde, ist eine Geschmacksfrage und ist davon beeinflusst, in welcher Kultur ich mich bewege und was diese Kultur als "besser" oder "schlechter" wahrnimmt.

Nimmt die Kultur nun "Behinderung" als "schlechter" wahr, kann es passieren, dass ein Fehlen da konstruiert wird, wo gar nichts fehlt. Zum Beispiel fehlt den Gehörlosen nicht die Sprache. Ihnen fehlt aber die Lautsprache und den Hörenden fehlt die Gebärdensprache.
Das sind nun mal Tatsachen, die ich durch Beobachten leicht verifizieren kann.
Weil die Mehrheit Sprache A spricht, behindert sie die Minderheit mit Sprache B, auch das kann ich leicht beobachten. Das ist allerdings ein soziologisches Problem und kein biologisches.
Rein biologisch wäre ein hörender Mensch in der Lage, Gebärdensprache bereits im Kindergarten zu lernen. Es bestehen nur keine Angebote in dieser Richtung.

In diesem Moment ist es völlig schnurzwurzpiepe, wem was fehlt und wie ich Dinge bezeichne, es geht jetzt darum, dass die Gehörlosen dadurch enthindert werden, dass entsprechende Kurse angeboten werden, die aber leider fehlen und das ist ein Fehler, ja sogar ein Defizit.
18.03.13, 18:42:38
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schuschu
(Angehörigenbereich)

kann man sich nicht drauf einigen , dass es einfach IST?
ohne dass was fehlt sondern einfach ist, so wie es ist, sonst wäre es ja anders?
da wir doch eh alle einzigartig sind, kann man doch nie vom fehlen sprechen, oder? ich kann mich doch gar nicht im vergleich zu anderen anderem sehen? egal ob mehrheit oder minderheit?

ps: ich störe mich auch an dem wort feheln, auch wenn ich schon weiss wie du es meinst eraser, hast es ja klar und deutlich erklärt, wobei ich da nicht mitgehen kann...weil es für mich so ist, wie ich oben geschrieben habe.

Gattung tiere : man würde doch auch nicht sagen, dass einem elefanten der lange hals fehlt...oder der giraffe der rüssel.
oder bei pflanzen: fehlt dem gänseblümchen die dornen nur weil die rosen welche haben? würde doch keiner im vergleich sehen...es ist einfach.

18.03.13, 19:14:40
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eraser
(Autistenbereich)

Zitat von 55555:
Was ist dein Gedankengang? Daß diese "Köpfe" oft Autisten wären?

Dass es möglich wäre. Rudelfaschimus ist für Autisten nicht so das Wahre, vermute ich.
Wenn sich bei dem Thema jemand beleidigt fühlt, kann er/sie das gerne tun. Ich spekuliere nur und würde nicht pauschal sagen, dass jeder NT ein Rudelfaschist und jeder Autist ein Naziführer sein könnte. Oder jeder Mann ein Vergewaltiger oder oder oder...

Zitat:
Nun ist "in Frieden leben" ja nicht unbedingt identisch mit "überall mitmachen können ohne Schaden zu nehmen".

So stell ich mir Barrierefreiheit aber vor. Es gibt bei Konzerten Rolliplätze, man könnte auch Autistenplätze haben.

Zitat von 55555:
Was ich meinte war eher die Gefahr durch diese NA-Gewohnheit immer wieder in Banden irgendwelche Mordaktionen, Kriege durchzuführen und damit den Rest der Menschheit in geschichtlichen Dimensionen immer wieder erheblich zu schädigen. Es ist eine Ironie der NA-Dominanz (infolge dieser Gewaltausübung?), daß diese Veranlagung als geistig gesund getrachtet wird.

Ja ja, so sind sie halt, diese niedlichen kleinen Tierchen, man muss sie einfach liebhaben... Spaß beiseite: Du hast Recht, ich bitte aber, zu bedenken, dass nicht alle so sind und dass wir auch unsere Schattenseiten haben.
Ich mag das Bild des friedliebenden jesusgleichen autistischen Übermenschen nicht, weil es einfach nicht stimmt.

Zitat:
Wenn ich schrieb, daß ich diese Konstrukte soweit der Begriff den Inhalt nahelegt nicht fundiert finde, dann in diesem Fall deswegen, weil eine Folge von Diskriminierung kein veranlagter Trieb einer Minderheit ist. Genauso wie man einem Schwulen keinen Rückzugstrieb andichten kann, weil er Skins lieber aus dem Weg geht.

Ich habe diesen Trieb aber auch, wenn ich bei meiner Mutter bin, die mich umtänzelt und mich mit ihren Kochkünsten verwöhnen will. Auch bei sehr lieben Menschen habe ich irgendwann genug.

Zitat:
??? Verständlich machen ungleich anderen verständlich machen was eigentlich Sache ist?

Wenn ich gefragt werde, was Autismus eigentlich ist oder wie sich das bei mir äußert, kann ich nicht mit hundert Begriffsdefinitionen anfangen. Ich muss mich so erklären, dass ein NA mich versteht. "Stell dir vor, du hast keine Filter und dann..."
Danach kann ich darauf hinweisen, dass ich bestimmte Begriffe ablehne, was auch durchweg akzeptiert wird.

Zitat:
Zitat:
Den braucht es in der Biologie nicht,

Genau, meine ich auch. Leider ist das bei vielen Biologen noch nicht so wirklich angekommen.

Das genau ist nämlich deren Problem.

Zitat:
Wir schreiben hier von einer Artengattung, die eine sehr lange Zeit sehr verbreitet existierte, richtig? Meines Wissens übrigens nicht unbedingt eine Gattung, die immer groß war, sondern der es oft eigen war schlichtweg nicht irgendwann aufzuhören weiterzuwachsen, wie das bei uns so üblich ist, wenn es genug Futter gibt. Weißt du, ob das der Faktor war, der für den Niedergang unter irgendwelchen Umständen ursächlich war? Und viele Biologen werten halt heute sogar ohne zumindestens bestimmte Bedingungen zu beschreiben. Wie du auch vor einigen Beiträgen.

Ich wollte nicht so tief ins Detail gehen und setze voraus, dass erst in Bezug zur Umwelt ein an sich wertneutrales Merkmal als "gut" oder "schlecht" bezeichnet werden kann. Das ist doch irgendwie Konsens, auch in der Enthinderung.
Barrierefreiheit ist Verändern der Umwelt, Cochleaimplantate oder ABA ist Verändern des Individuums. Beide Wege sind auch erstmal wertneutral zu betrachten und bevor ich dann ABA schlecht finde, frage ich mich, auf welchem der beiden Wege weniger Menschen verletzt werden.
So komme ich dann zu dem Schluss, ABA "schlecht" zu finden.

Zitat:
Krankheit = soll weg. Richtig?

Dass wir (als Gesellschaft) kranke Menschen als weniger wert betrachten, soll weg. Es gibt aber in meinem Verständnis Krankheiten und man kann sie heilen.
Es ist allerdings nicht jede Normabweichung eine Krankheit. Drei Nieren haben ist ein großer Vorteil, Hyperlexie ist ein Vorteil, sogar Autismus ist ein Vorteil, wenn man mal eine Weile darüber nachdenkt. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass das Down-Syndrom kein Genfehler ist, sondern eine sinnvolle Variante, da ein bestimmter Prozentsatz von Menschen mit dieser Variante in einer Population für ein entspanntes und fröhliches Miteinander sorgen kann. Die sind nämlich sehr oft sozial hochbegabt.
"Krankheit" muss anders definiert werden. Für mich ist das etwas Gefährliches, an dem man sterben kann. Und komm mir jetzt nicht mit "Dann ist das Leben an sich auch eine Krankheit", du weißt schon, was ich meine. Gebrochene Beine, Krebs, Malaria, dergleichen.

Zitat:
Zitat:
Ich würde so etwas lieber mit Leuten diskutieren, die sich selbst als "krank" bezeichnen nach obiger Definition.

Bezogen auf Autisten?

Auch. Aber auch Krebskranke, Muskelkranke... die nennen sich ja selbst "Kranke".

Zitat:
Parkplatznot als Krankheit? Muß das Gesundsheitsamt aktiv werden?

Das beeinträchtigt meine Lebensqualität nur temporär und es ist noch kein Mensch an Parkplatznot gestorben.

Zitat:
Und was denkst du nun zu Katalogen, in denen unheimlich schlaue Menschen objektiv festzulegen versuchen, was krank ist?

Die finde ich krank, denn sie beeinträchtigen meine Lebensqualität und sind für Ungeborenene unter Umständen tödlich. Da muss das Gesundheitsamt aktiv werden.

Zitat:
Zitat:
Wenn jemand auf seinem Bauch kriechend 10 Meter in der Stunde schafft und jede Überanstrengung die Krankheit verschlimmert, wird er allein nicht überleben, es sei denn, es fliegen gebratene Tauben rum.

Irgendwas nahrhaftes am Boden reicht schon. Und die bunten Vögel nehmen ihm sogar nach den ersten Tagen den Streß.

Es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass dieser Mensch überlebt, seien wir mal realistisch.
Menschenrechte im Zeitalter von Hochspezialisierung gehen natürlich nicht von archaischen Survivalfähigkeiten aus, das wäre ja auch noch schöner. Darum geht es ja gerade. Wir heute könnten es uns leisten, jedem ein schönes Leben zu bereiten, der sich nicht selbst versorgen kann.

Zitat:
Wollen wir mal untersuchen wieviele Menschen "Fehler" in Verbindung mit mindestens solide wertneutraler "Vielfalt" bringen?

Vermutlich nicht allzu viele.

Zitat:
Zitat:
Der Aufwand, den Leuten beizubringen, "Fehlen" nicht pathologisch zu sehen ist derselbe wie alle dazu zu bringen, das Wort nicht in bestimmten Zusammenhängen zu verwenden.

Leider meint "fehlen" ja oft in anderen Zusammenhängen eben ein ungutes Defizit: "Es fehlt Geld in der Kasse", "Du fehlst mir.", "Das ist voller Rechtschreibfehler", etc.

Ja, aber "kein Geld in der Kasse" oder "Geld nicht vorhanden" oder "Abwesenheit von Geld" wird auch als negativ wahrgenommen. "Mir fehlen sämtliche Krebssymptome, ich bin kerngesund!" klingt allerdings ganz gut. "Natürliche Feinde fehlen" auch.

Zitat:
Zitat:
Der Aufwand "schwul" nicht mehr negativ zu sehen war derselbe wie "Neger" nicht mehr zu benutzen. Worte verbannen und Wortbedeutungen ändern ist gleich schwer.

Mit dem Unterschied, daß Schwule mit der Umbewertung des Eigennamens gleich die Akzeptanz mitförderten, aber bei den Negern nun irgendwelche anderen Begriffe mit in etwa der Einstellung von früher verwendet werden. Der Lerneffekt von "Neger ist ein böses Wort" ist halt beschränkt z.B. im Vergleich zu "Wir Neger können alles was ihr auch könnt". Vielleicht fällt den Negern ja schwerer als Minderheit zu erklären, weil sie nicht überall Minderheit sind wie Schwule (abgesehen von gewissen neueren Stadtteilen, etc.)

Dann sollten wir uns selber "die gestörten Kloppis" nennen, um die Akzeptanz zu fördern?
Nee. Es macht Sinn, einige Wörter zu "verbieten" und andere umzudeuten. "Fehlen" kann man nicht verbieten, man könnte es also anders verwenden oder in bestimmten Zusammenhängen nicht verwenden, allerdings muss eine Abwesenheit oder Anwesenheit irgendwie auf deutsch beschrieben werden können.

Zitat:
Zitat:
Nur leider weist "xyz-los" auch auf ein Fehlen hin.

Kann man so sehen, das müssen die selbst wissen. Viele Selbsthilfeaktivisten verstehen ja erschreckend wenig von Ansätzen entsprechend aktuellen Erkenntnisstands. Ist leider ein Teil des Problems.

Vermutlich haben die Primärprobleme zu lösen. Also im Real Life.
Langfristig macht es Sinn, sprachliche Überlegungen in den Kampf gegen Diskriminierung mit einzubeziehen, aber vielleicht ist es noch nicht so weit. Ich schätze, dass 80% der Leute nicht wissen, dass "es jetzt Gehörlose heißt" und das gilt auch für Kleinwüchsige, Menschen mit Down-Syndrom, Menschen mit Lernbehinderung... *duhuuu Schahaatz? Wie heißen denn die Zigeuner jetzt?*
Diese ganze PC Sache verunsichert Menschen auch und ist, wenn sie übertrieben wird, eher kontraproduktiv.

Zitat:

Das sollten diese Gruppen vielleicht selbst allgemeingültig entscheiden, statt irgendwelche Wertungen von der Mehrheit vorgeschrieben zu bekommen? Dazu hatte ich ja mal einen Entwurf gemacht, siehe Bundestagspetition auf der ESH-Site.

Werde ich mal anschauen.

Zitat:
Zitat:
aber im Moment hält mich das auf.

Bei was?

Beim Definieren von Autismus und auch bei allen anderen Sachen, die ich so fabriziere momentan in meinem Alltag. Meine Freizeit ist ziemlich knapp.

Mit "eigentlich mein Job" meinte ich, dass ich mich im Studium mit solchen Sachen beschäftigt habe und eigentlich wäre es an mir, die Begriffe auf eine philosophische Art und Weise zu definieren oder darauf hinzuweisen, dass Sprache Welt konstituiert usw.

Zitat:

Gerade vor einigen Tagen hatte gemand darüber gelästert, daß wir hier ja den Begriff "betroffen" ablehnen würden.

Ich lehne ihn ab, aber wer ihn für sich verwenden will, kann das gern tun. Wenn meine Mutter sich jetzt "betroffen" nennen würde - vielleicht leidet sie tatsächlich unter meinem Autismus? Dann ist es ihr Leid, ihr Schmerz, ihr Selbstmitleid, hat mit mir nichts zu tun und sie kann sich nennen wie sie will. Mir wäre es dann nur wichtig, klarzustellen, dass ich nicht leide, keine Schmerzen habe und auch kein Mitleid brauche.

Zitat:
Zitat:
aber außer dir findet vermutlich niemand "Fehlen von Filtern" diskriminierend.

Und das nach dem Beitrag von Fundevogel ...

Fundevogel schreibt nichts zum Fehlen von Filtern, sondern stellt mir seltsame Fragen über Minderheiten.

Zitat:
Edit: Ich habe nochmal zum Definitionsthema nachgelesen wo wir eigentlich verblieben waren. Wir scheinen uns einig zu sein, daß die Wahrnehmung von Autisten direkter ist, durchschnittliche Nichtautisten in der Verarbeitung von Sinnesreizen determinierter sind, weniger Freiheit haben.

Die interessanteste Frage wäre nun wohl, ob das der Kern sein könnte. Also ob diese Veranlagung praktisch immer zu dem führt, was "Autismus" genannt wird und nach einer sauberen Reorganisation auch in diese Gruppe gehören würde.

Ich bin mittlerweile an dem Punkt, an dem ich Autisten und NA in a) Verwender bewusster oder b) unbewusster Filtermechanismen aufteilen würde.
Aber egal, da irgendwo ist der Kern, es geht um Wahrnehmung, reine, ungefilterte Wahrnehmung vs. vorsortierte.
18.03.13, 19:56:53
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Was das mit dem "Fehlen", etc. angeht habe ich den Eindruck, daß es da bei dir massiv hakt, also lasse ich das erstmal, auch wenn es mich irritiert darin anscheinend nicht verstanden zu werden. Kann sein, daß mich das bei den Antworten teilsweise noch ablenkt, zumal du die Begrifflichkeit ja weiterverwendest.
Zitat:
Dass es möglich wäre.

Möglich ist vieles, vielleicht käme auch tatsächlich ein überdurchschnittlicher Anteil zustande, wenn man es genau auszählen könnte. Dennoch wäre die Frage, was die Gefahr ist, quasi die "Waffe" von einer Horde NA irgendwie zum Oberchef erhoben worden zu sein oder die Tatsache, daß sie auch benutzt wird (wobei dann auch die Frage wäre, ob das eigentlich wirklich von oben kam).
Zitat:
So stell ich mir Barrierefreiheit aber vor. Es gibt bei Konzerten Rolliplätze, man könnte auch Autistenplätze haben.

Aha, vielleicht bin ich ein Konzertbanause und eigne mich für eine Analyse in diesem Beispielsfall nicht. Ein Konzert ist doch angeblich so toll wegen dem Erleben dessen, daß man zusammen ist? Was das angeht fehlt mir vielleicht auch etwas das Verständnis des Reiz der ganzen Sache, die ja oft zudem nicht billig ist.
Zitat:
Du hast Recht, ich bitte aber, zu bedenken, dass nicht alle so sind und dass wir auch unsere Schattenseiten haben.

Die große Masse der NA sind aber eben schon "so"? Es ist in ihnen, auch wenn sie es vielleicht nicht immer ausleben. Autisten sind keine Engel, klar. Was denkst du denn wie es in einer Welt aussehen würde, in der Autisten 99% der Bevölkerung stellen und NA zusammen mit den Schizophrenen als eine gemeinsame Minderheit betrachtet würde?
Zitat:
Ich habe diesen Trieb aber auch, wenn ich bei meiner Mutter bin, die mich umtänzelt und mich mit ihren Kochkünsten verwöhnen will. Auch bei sehr lieben Menschen habe ich irgendwann genug.

Achso und du meinst das ist bei allen Autisten so? Es soll ja auch diese Autisten geben, die ziemliche Kletten sind, wenn sie jemanden mögen. So sehr, daß NA das in der Regel zuviel wird (wohl nicht nur wegen der Unterschiede?).
Zitat:
Das genau ist nämlich deren Problem.

Auch in anderen Wissenschaften existieren ähnliche Probleme unsauerer Deutungen. Keine Ahnung, warum das offenbar so weitgehend toleriert wird.
Zitat:
Barrierefreiheit ist Verändern der Umwelt, Cochleaimplantate oder ABA ist Verändern des Individuums.

Ja.
Zitat:
Zitat:
Krankheit = soll weg. Richtig?

Dass wir (als Gesellschaft) kranke Menschen als weniger wert betrachten, soll weg. Es gibt aber in meinem Verständnis Krankheiten und man kann sie heilen.

Da ich nicht von kranken Menschen schrieb sehe ich das als Bestätigung. Was "krank" genannt wird soll weg, also das Dingsbums an einem Menschen, das man krank findet.
Zitat:
"Krankheit" muss anders definiert werden. Für mich ist das etwas Gefährliches, an dem man sterben kann.

Wir sind uns darin einig, daß diese luktarive immer weitergehende Ausdehnung von Diagnosen gestoppt werden und teilweise auf ein sinnvolles Maß beschnitten werden muß. Der ganze Psychodiagnosenbereich könnte eigentlich geschlossen gestrichen werden.
Zitat:
du weißt schon, was ich meine. Gebrochene Beine,

Ach, da kann man dran sterben?
Zitat:
Aber auch Krebskranke, Muskelkranke... die nennen sich ja selbst "Kranke".

Aha.
Zitat:
Das beeinträchtigt meine Lebensqualität nur temporär und es ist noch kein Mensch an Parkplatznot gestorben.

Naja, an gebrochenen Beinen wohl auch nicht viel mehr?
Zitat:
Ja, aber "kein Geld in der Kasse" oder "Geld nicht vorhanden" oder "Abwesenheit von Geld" wird auch als negativ wahrgenommen.

Ich denke das ist ein Punkt um den es geht. Es ist nicht übertragbar mit "kein Geld". Denn es wird gemeint, daß ein erwarteter Zustand der "richtig" wäre nicht vorgefunden wurde.
Zitat:
"Mir fehlen sämtliche Krebssymptome, ich bin kerngesund!" klingt allerdings ganz gut. "Natürliche Feinde fehlen" auch.

Aber auch in diesen Fällen kommt durch diese Wortwahl zum Ausdruck, daß es eine Erwartung gibt, die Maßstab ist. Es wird mitgeteilt, daß diese Erwartung in einem Fall nicht eingetroffen ist. "kein XY" hat diese normorientierte Aussagedynamik nicht.
Zitat:
Dann sollten wir uns selber "die gestörten Kloppis" nennen, um die Akzeptanz zu fördern?

"Gestört" ist ja wieder ein Begriff aus dem allgemeinen Wortschatz. Und das was übrigbleibt scheint mir nicht entsprechend verbreitet zu sein. Das ist eben der Begriff "Autist".
Zitat:
Vermutlich haben die Primärprobleme zu lösen. Also im Real Life.

Du hast noch nicht erläutert inwiefern sich beides widersprechen soll.
Zitat:
Ich lehne ihn ab, aber wer ihn für sich verwenden will, kann das gern tun.

Dein "Fehlen" beziehst du aber auch nicht nur auf dich?
Zitat:
Ich bin mittlerweile an dem Punkt, an dem ich Autisten und NA in a) Verwender bewusster oder b) unbewusster Filtermechanismen aufteilen würde.

Aha.
Zitat:
Aber egal, da irgendwo ist der Kern, es geht um Wahrnehmung, reine, ungefilterte Wahrnehmung vs. vorsortierte.

Kann sein.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
18.03.13, 22:05:05
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