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Thema: Mehrere Vorhaben zugleich (http://autismus.ra.unen.de/topic.php?id=8456)


Geschrieben von: 55555 am: 11.05.21, 18:16:03
Wie geht es euch damit, wenn es zu einer Zeit für euch gleichzeitig mehrere Dinge zu erledigen gäbe?


Geschrieben von: Gast am: 11.05.21, 21:50:17
Das schaffe ich nicht immer zu meiner Zufriedenheit.
Meist erstelle ich einen Plan, um notwendige Teilschritte erfassen und wenn möglich, abarbeiten zu können.
Ansonsten versuche ich zu analysieren, welches von den zu erledigenden Dingen die wichtigsten sind, um damit anzufangen.
Wenn ich keinen Überblick bekomme, ist es sehr schwer für mich anzufangen mit den Erledigungen..


Geschrieben von: 55555 am: 11.05.21, 22:43:02
Im Zusammenhang dieses Themas erinnere ich mich ersteinmal an auch hier im Forum schon früher thematisierten Erfahrungen zu Autismus, daß es anscheinend öfters so ist, daß Autisten Vorhaben, die sie aus ihrem Inneren interessieren ganz anders wirken wie Vorhaben, die eher auf äußeren Druck hin aktuell werden, das schließt irgendwelche natürlichen Entwicklungen mit ein, die sich eben aufgrund irgendwelcher Umstände gerade so ergeben haben.

Ich würde sagen, wenn man es so formulieren wollte, hätten Autisten im Rahmen der menschlichen Veranlagungsdiversität auch eine Eigenschaft eben von der eigenen Natur her nicht dazuz zu neigen sich "äußerlich verplanen zu lassen". In einem Kollektiv von Menschen ist es wahrscheinlich sehr sinnvoll, wenn es solche Individuen gibt. Die gesellschaftliche Entwicklung weist aber seit vielen Jahrtausenden in eine andere Richtung und diese Eigenschaft "Überzeugungstäter" könnte durchaus etwas sein, das dem Ziel einer fügsamen, lenkaren weltlich agierenden Nutztiermenschheit und auch daher pathologisiert und bei nächster Gelegenheit wegeugenisiert werden sollte.

Während es Autisten wohl öfters so gehen wird, daß "äußerliche Vorhaben", besonders noch wenn sie sich häufen, schwierigere Umstände wären, wäre es zugleich wohl so daß es bei Vorhaben aus innerem Interesse nicht so wäre, auch wenn es mehrere wären.

Pläne abarbeiten, ja. Bei jedem funktioniert das wohl nicht recht?


Geschrieben von: Perunica am: 12.05.21, 21:40:24
Ja, das Problem der "äußeren Vorhaben" und der Wunsch innere Interessen nachzugehen, ist nicht immer lösbar. Bei mir persönlich funktioniert es jedenfalls nicht gut.

Und Vorhaben, welche ich selbst planen kann, ermöglichen mir durchaus verschiedene Schritte parallel umzusetzen. Als Multitasking-fähig betrachte ich mich allerdings nicht.


Geschrieben von: Hundertwasser am: 12.05.21, 23:42:16
Mir geht es in diesem Fall so, dass ich alle Dinge nur "halb" ausführen kann und die unterschiedlichen Tätigkeiten mich so überfordern, dass ich irgendwann garnichts mehr machen kann.


Geschrieben von: 55555 am: 13.05.21, 16:03:01
Es stimmt, bei meiner anfänglichen Frage kann man auch an das Multitasking-Thema und die Frage, ob Multitasking nicht eher ein Selbstbetrug von NA ist, denken und es mag durchaus auch etwas mit dem zu tun haben, was ich eigentlich meinte. Mir ging es um mehrere Vorhaben zugleich, mehrere Erledigungen, die demnächst anstehen, nicht unbedingt darum Dinge parallel abzuwickeln.


Geschrieben von: Hundertwasser am: 14.05.21, 11:37:11
Auch im anderen Kontext, also mehrere Erledigungen, die demnächst erledigt werden müssen und nicht Multitasking, würde ich mich zunächst überfordert fühlen.
Ich würde dann entweder das als erstes erledigen, was am wenigsten Energie einfordert oder das, welches zwar zunächst viel Energie einfordert, aber nach der Umsetzung langfristig Energie spart.


Geschrieben von: 55555 am: 14.05.21, 14:43:02
Um nochmal etwas auszuholen, ist es ja so, daß NA es von sich auch kennen, lieber Dinge zu tun, die sie interessieren als etwas, das sie für Geld tun, ihnen jemand aufträgt oder aus sich selbst heraus erledigt werden sollte. Dann meinen die ja öfters Autisten seien da einfach nur nicht recht auf Zack, seien zu faul, müßten nur mal anständige Planungen aufstellen (als seien Autisten an sich besonders desorganisiert) und dergleichen. Aber es gibt da ja wohl schon grundlegende weitergehende Unterschiede.

Ein Ansatz das weiter zu betrachten, könnte einfach sein, daß Autisten oft ja den irdischen Dingen um einiges ferner stehen. Vielleicht wären diese Dinge NA deswegen auch einfach innerlich ein gutes Stück näher?


Geschrieben von: Lebensblume am: 14.05.21, 15:41:28
Zitat von 55555:
Ein Ansatz das weiter zu betrachten, könnte einfach sein, daß Autisten oft ja den irdischen Dingen um einiges ferner stehen. Vielleicht wären diese Dinge NA deswegen auch einfach innerlich ein gutes Stück näher?


Woran mag es denn gelegen haben, dass ein autistisch veranlagtes Kind (und später auch Erwachsener) sich daran orientierte, was in seinem Umfeld als "Norm" angestrebt wurde? Auch wenn es diese Norm nie erreichen konnte, war es teils sehr darum bemüht, ihr einigermassen zu entsprechen, um nicht gänzlich als "Versager" zu gelten (vor allem sich nicht so zu fühlen).

Ich frage als betroffener Mensch, der in den 60-iger-Jahren zur Schule gegangen war und keine Ahnung davon hatte, weshalb bei ihm etwas "anders" lief, als bei den Bezugspersonen, mit denen er in Kontakt war. Was hätte in mir sein müssen, um ganz anders darauf zu reagieren? Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich mich nicht angepasst hätte? Wäre ich heute in einem "besseren" Zustand oder hat mich gar mein damaliges Reaktionsmuster davor bewahrt, in einen Zustand zu geraten, der mir mehr Leid als Zufriedenheit gebracht hätte?

Um den Bezug zum eigentlichen Thema des Threads wieder herzustellen, habe ich also aufgrund meiner Anpassung in Ansätzen "gelernt", Vorhaben weniger danach auszusortieren, wie es mir selbst gefallen würde, sondern ich stellte meine eigenen Interessen oft in den Hintergrund, um fremden Ansprüchen zu genügen.

Was hat diese "Lernerfahrung" mit mir gemacht, hat sie mir eher geschadet als genützt? Eine Frage, die ich nur sehr schwer selbst beantworten kann.


Geschrieben von: 55555 am: 14.05.21, 19:32:53
Zitat von Lebensblume:
Woran mag es denn gelegen haben, dass ein autistisch veranlagtes Kind (und später auch Erwachsener) sich daran orientierte, was in seinem Umfeld als "Norm" angestrebt wurde? Auch wenn es diese Norm nie erreichen konnte, war es teils sehr darum bemüht, ihr einigermassen zu entsprechen, um nicht gänzlich als "Versager" zu gelten (vor allem sich nicht so zu fühlen).

Das an sich ist wohl nicht selten. Wenn ich von irdischen Dingen schrieb, dann meinte das z.B. materiellen Besitz, worauf Autisten aus sich nach etlichen Schilderungen wohl merklich weniger Wert legen. Wo man meiner Meinung nach noch genauer hinsehen könnte, wäre das mit dem sich als Versager fühlen.
Zitat:
Ich frage als betroffener Mensch, der in den 60-iger-Jahren zur Schule gegangen war und keine Ahnung davon hatte, weshalb bei ihm etwas "anders" lief, als bei den Bezugspersonen, mit denen er in Kontakt war.

Auch das ist an sich nach meiner Einschätzung nicht ungewöhnlich. Viele Autisten gehen erstmal davon aus, daß andere sind wie sie und wundern sich über Merkwürdigkeiten, die viele verschiedene zu sein scheinen.

Zu den Forenregeln:
Zitat:
Folgende autisten- oder behindertenfeindliche Haltungen werden im o.g. Sinne geahndet (Liste wird fortgesetzt verfeinert):

[...]

b) Die Bezeichnung von gesunden (anders veranlagten) Bevölkerungsminderheiten als "von [Personeneigenschaft] Betroffene", denn "betroffen sein" deutet im Rahmen der deutschen Sprache praktisch immer auf eine negative Wertung der Personeneigenschaft hin. Dies gilt auch für die Formulierung "unter [Personeneigenschaft] leidend" oder einen "Verdacht" in Zusammenhang mit Autismus.

Im Moment ist die Lage noch relativ entspannt was diese Dinge angeht, aber in Zeiten in denen ständig irgendwer mit diesen fragwürdigen Wertungen formulieren würde, würde die Moderation wohl wieder strikter durchgreifen.
Zitat:
Was hätte in mir sein müssen, um ganz anders darauf zu reagieren?

Ich würde sagen, es dürfte eine größere Rolle dabei spielen in welcher Art sich jemand an Menschen im Umfeld orientiert, wie sehr er einfach aus sich selbst heraus auf das eigene Innere hört, es daher auch mehr versteht?
Zitat:
Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich mich nicht angepasst hätte?

Das ist schwierig so pauschal zu beantworten, würde ich sagen. "Nicht anpassen" könnte vieles bedeuten.
Zitat:
Wäre ich heute in einem "besseren" Zustand oder hat mich gar mein damaliges Reaktionsmuster davor bewahrt, in einen Zustand zu geraten, der mir mehr Leid als Zufriedenheit gebracht hätte?

Auf die eigene Natur zu achten, würde ich ersteinmal vorteilhaft finden. Aber das Umfeld könnte mehr Probleme in der Folge machen.
Zitat:
Um den Bezug zum eigentlichen Thema des Threads wieder herzustellen, habe ich also aufgrund meiner Anpassung in Ansätzen "gelernt", Vorhaben weniger danach auszusortieren, wie es mir selbst gefallen würde, sondern ich stellte meine eigenen Interessen oft in den Hintergrund, um fremden Ansprüchen zu genügen.

Wie würde das gehen?


Geschrieben von: Lebensblume am: 14.05.21, 22:31:34
Zitat von 55555: Auf die eigene Natur zu achten, würde ich ersteinmal vorteilhaft finden. Aber das Umfeld könnte mehr Probleme in der Folge machen.

Zitat von Lebensblume: Um den Bezug zum eigentlichen Thema des Threads wieder herzustellen, habe ich also aufgrund meiner Anpassung in Ansätzen "gelernt", Vorhaben weniger danach auszusortieren, wie es mir selbst gefallen würde, sondern ich stellte meine eigenen Interessen oft in den Hintergrund, um fremden Ansprüchen zu genügen.

Zitat von 55555: Wie würde das gehen?

Es geht, indem man auf die eigene Natur zu wenig achtet, weil man dadurch gefürchteten Auseinandersetzungen mit dem Umfeld aus dem Wege gehen kann. Jedoch das Versäumte wird einen früher oder später einholen und hat Herausforderungen anderer Art zur Folge, allem voran die Auseinandersetzung mit sich selbst.






Geschrieben von: 55555 am: 15.05.21, 15:49:05
Gut, diverse Autisten, die versuchten sich an einem nichtautistischen Umfeld zu orientieren, die meinten, sie wären nicht grundlegend anders und müßten auch so agieren können wie die anderen, die meist auch Druck auf sie ausübten, gerieten so dann wenn es in der Kindheit losging im Alter von ca. 30 in einen Burnout. Dann folgte im glücklicheren Fall ein genaueres Erkennen und eine Besinnung mindestens auf Teile der eigenen Natur, wie sie eben ist. Was das angeht ist es nach meiner Einschätzung auch schon gut, daß der Archetyp "Autist" öffentlich derzeit in einer greifbareren Weise präsenter ist. Andererseits machen sich daran auch viele neue schwerere (gezieltere) Diskriminierungen mit Mißhandlungen fest.

Das alles ist vielleicht eine allgemeinere Ebene als die Frage, um die es mir ging und die auch eine Rolle z.B. für das Gelingen von selbstorganisierten Lebensgemeinschaften von Autisten spielt. Etwa wenn jemand eigentlich selbst auf eine Art Lust daran hätte dies und das zu tun, sich andererseits aber mindestens schwertut dies auch umzusetzen, gerade wenn es etliches zu tun gäbe. Was geschieht da innerlich genau?