Gast
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An Anfang unseres Kennenlernens gelang es ihm, aus seiner Welt ein Stück auszubrechen. Er hat mir von sich erzählt. Sein Anderssein war allerdings nie ein Thema. Und für ihn gibt es bis heute nicht die Diagnose "Asperger". Zumindest will er nicht darüber sprechen. Ich hatte längere Zeit Kontakt zu seinem Psychiater (ich habe nach einem Jahr Beziehung "entdeckt", dass er bei einem Arzt in Behandlung war, durch einen Zufall, nicht von ihm habe ich es erfahren). Mit dem Arzt habe ich auch über Asperger gesprochen. Für meinen Partner ist sein Anderssein ein Tabuthema. Und er konnte sehr verletzend werden, wenn ich vorsichtig darauf angesprochen habe.
Über Verletzungen reden wir nur nach sehr schlimmen Krisen, d.h. immer nur dann, nachdem mein Partner einen Wutanfall hatte, sich längere Zeit in seinem Zimmer danach verkrochen hat und dann irgendwann das Gespräch mit mir sucht. Nach diesen Wutanfällen kann er sich für einen begrenzten Zeitraum öffnen, vielleicht aus großer Angst, mich zu verlieren. Inzwischen sind die äußerlich spürbaren Wutanfälle weniger geworden. Ich glaube, er kontrolliert sich sehr, weil er ahnt, dass er mich verlieren könnte.
Woher ich weiß, dass er mich liebt? Er ist da. Das war einmal seine Erklärung. Dasein heißt Liebe. Er hat mich zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht.
Seine Handlungen drücken das aus. Er verzichtet auf materielle Dinge, damit mir es materiell gut geht. Er ist vor ein paar Jahren das Wagnis eingegangen, mit mir ein Haus zu kaufen, weil ich mir einen Garten gewünscht habe. Oder als ich einen Autounfall hatte, hat er dafür gesorgt, dass wir schnell ein neues kaufen (ich brauche es für meinen Job). Er hat sich tagelang mit nichts anderem mehr beschäftigt als mit der Suche nach einem geeigneten Auto. Er hat sich über Technik informiert, die Sicherheit, den Benzinverbrauch. Und all das, obwohl er selbst keinen Führerschein hat und Autofahren nicht mag. Ich weiß seine Taten sehr zu schätzen. Ich kann auf ihn zählen.
Inzwischen kenne ich natürlich viele Reaktionen von ihm, kann ihn oft gut einschätzen. Wann ihm was zuviel wird. Ich versuche oft, ihn zu schonen, ihn rauszuhalten. Aber das ist für mich sehr anstrengend.
Und ich habe Sehnsucht nach Nähe. Ich habe als Sozialarbeiterin einen sehr anstrengenden Job, der mich auch hin und wieder sehr traurig macht. Ich wünsche mir manchmal, nach Hause zu kommen und es würde mich jemand erwarten, der mich in den Arm nimmt. Mich tröstet. Mich streichelt. Das kann mein Partner nicht. Wenn ich ihm von meinem Job erzähle, merke ich, dass er beginnt, wütend zu werden. Ich weiß, er würde mich gern beschützen vor meinen Erlebnissen. Aber seine Wut hilft mir nicht weiter. Und verdirbt ihm nur die kommenden Stunden. Also spreche ich nur noch wenig von Dingen, die mich bewegen.
Sonnenschnexe
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