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Lenz2011
(Alien)

Hallo zusammen,

Das ist das erste mal, dass ich in einem Asperger Forum schreibe. Ich bin 47 Jahre alt, verheiratet und habe Kinder. Vor 3 Monaten wurde bei mir Asperger diagnostiziert.

Meine Frage ist: haben Asperger weniger Freude am Leben als NT?

Ich kam auf das Thema das erste Mal vor ca. 4 Jahren, als ich wegen depressive Verstimmung mit phobischen Zügen eine Psychotherapie begann. Der Therapeut hörte sich meine Geschichte an (damals wusste ich noch nichts von Asperger) und sagte dann ganz lapidar etwa wie "Ja, so macht das Leben natürlich keinen Spaß". Damals dachte ich gleich: wovon redet der denn überhaupt, ich bin froh wenn ich jeden Tag über die Runden komme, mehr will ich doch gar nicht. 
Natürlich gibt es kleine und manchmal auch größere Freuden, aber dass das Leben an sich Spaß machen könnte, diese Idee und diesen Anspruch hatte ich noch nie. 

Wie ist das bei euch? Habt ihr eine Nische gefunden, in der ihr euch wohl und sicher fühlt und "Spaß" oder Freude am Dasein habt? Oder seit ihr eher mit Alltag und Überlebenskampf beschäftigt und froh wenn alles halbwegs läuft?

Ich würde gern eure Erfahrungen und Meinungen darüber lesen.

Viele Gruesse 
Lenz

"Den 20. ging Lenz durch's Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. .... Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte."
03.11.11, 09:22:50
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Autisten haben nicht an sich weniger Freude am Leben, vielleicht sogar mehr als NA. Allerdings zählen Autisten in unserer Gesellschaft zu einer diskriminierten Minderheit (und das geht nicht auf den Autismus zurück, sondern auf Mehrheitsverhältnisse) und sind deswegen oft psychisch angeschlagen.

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
03.11.11, 09:37:22
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Hans
(Autistenbereich)

geändert von: Hans - 03.11.11, 13:04:35

Bei mir gab es auch durchaus Zeiten, wie die Schulzeit,
da mir das Leben keinen Spaß gemacht hat.
Durch ein erfolgreiches Berufsleben habe ich einen besseren "Selbstwert" gefunden.
Durch eine Lebensumstellung, ich wohne jetzt schon 17 Jahre im Wohnmobil,
ist es mir erst recht gut ergangen, so daß ich jetzt durchaus sagen kann:
"Mein Leben macht mir Spaß!"
Seit ich weiß, daß ich zum autistischen Spektrum gehöre,
sind einige Dinge, die mich früher belastet haben, einfach weg gefallen.
So kann ich sagen, daß ich nun noch mehr Spaß habe.
03.11.11, 13:03:44
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PvdL
(Φιλίππος Φιλύρινος)

geändert von: PvdL - 03.11.11, 13:12:06

Ich denke auch, daß die Lebensfreude nicht ungleich verteilt ist, sondern daß es NTs es nur besser verstehen, ihre Lebensfreude dem Rest der Menschheit zu präsentieren. Aber man kann auch sehr gut Lebensfreude haben, ohne es immerzu und überall öffentlich zu machen. Oder um es noch deutlicher zu machen, was ich meine: Nur weil ich nicht überall meine Genitalien herum zeige, heißt das noch lange nicht, daß ich keine habe. Mit der Lebensfreude ist es vergleichbar.

Ergänzung: Auch mir hat es sehr geholfen zu wissen, daß ich kein abartiger NT, sondern ein gewöhnlicher Aspie bin. Unter anderem konnte ich dadurch endlich zu einer eigenen Identität finden.

Ich habe ein autistisches Begabungsprofil.
Mein Spezialinteresse ist Linguistik.
Ich bin Germanist, Linguist und Anglist.
Und leider bin ich zur Zeit arbeitslos.
03.11.11, 13:09:02
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mor
(Autistenbereich)

Ich denke mal, dass auch bei der Lebensfreude Höhen und Tiefen gibt. Wenn man genug von allem hätte, wäre die Lebensfreude wohl auch geringer. Und umgekehrt je höher die Möglichkeit von nicht genug haben, desto höher die Lebensfreude?
03.11.11, 17:12:53
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Lenz2011
(Alien)

Hallo,

Vielen Dank für die Antworten bisher. Die machen mir zwar Mut, ich sehe aber für mich noch keinen Weg dahin. Mein beruflicher "Erfolg" beruht allein auf der Tatsache, dass ich versuche wie ein NT zu sein. Seit frühester Kindheit habe ich gelernt zu funktionieren und komme aus diesem Muster auch nicht so leicht wieder raus.

Lenz

"Den 20. ging Lenz durch's Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. .... Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte."
03.11.11, 18:34:29
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PvdL
(Φιλίππος Φιλύρινος)

Mein Rat, oh Lenz2011: Laß Dir Zeit. Lerne Dich zu lieben wie Du bist. Und hör auf Dich mit NTs zu vergleichen.

Ich habe ein autistisches Begabungsprofil.
Mein Spezialinteresse ist Linguistik.
Ich bin Germanist, Linguist und Anglist.
Und leider bin ich zur Zeit arbeitslos.
03.11.11, 19:18:46
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schuschu
(Angehörigenbereich)

Ich schliesse mich den Worten von PvdL an.
Ergänzend: Meiner Meinung nach ist es sinvoll, sich mit niemanden zu vergleichen, denn soviel Menschen wie wir auf diesem Planeten sind, sind wir auch alle einzigartig. Und richtig so wie wir sind, wir müssen nichts dafür tun.Lebensfreude und Sich glücklich fühlen ist unser Geburtsrecht.--Das hab ich auch erst nach vielen leidvollen Erfahrungen für mich erkannt.-- Wie PvdL schon schreibt : Lass Dir Zeit.
Hilfreich kann sein, sich mit Menschen auszutauschen , die ähnliche Ansichten haben, bei denen Du das Gefühl hast,"da bin ich richtig", "ich brauch mich nicht verstellen","ich werde in meiner Essenz erkannt, wahrgenommen und darf einfach ICH sein". Ein Ort mit solchen Menschen könnte ja vielleicht dieses Forum für Dich sein?
03.11.11, 21:33:21
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wolfskind
(stillgelegt)

wenn ich gezwungen wäre mich wie ein NA zu verhalten, würde es mir sicher auch schlecht gehen.
denn das macht für mich keinen sinn, warum sollte man das tun?

"Freilich ist die Welt voller Fährnisse und düsterer Orte; doch noch immer ist viel Schönes lebendig, und wenn auch die Liebe in allen Landen nun mit Leid vermengt ist, wird sie deshalb vielleicht um so größer."
"Derjenige, der etwas zerbricht, um herauszufinden, was es ist, hat den Pfad der Weisheit verlassen."

(Herr der Ringe)
03.11.11, 23:36:53
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55555
(Fettnäpfchendetektor)

Man stelle sich mal vor ein NA würde genötigt sich zu verhalten wie ein Autist und würde das nie so hinbekommen, daß Autisten ihn wirklich als Autisten sehen. Wie würde er sich wohl nach 10 Jahren fühlen?

Mancherorts steckt man Eltern ins Gefängnis, die ihre Kinder aus ideellen Gründen nicht zum Arzt bringen. Anderswo schützt man fremde Kulturen mittels Strafen vor Kontakt und Einmischung.
04.11.11, 09:40:22
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schuschu
(Angehörigenbereich)

Habe die ganze Nacht nicht gut geschlafen,weil ich uber Deine Situation , Lenz2011, und über das, was ich dazu geschrieben habe, nachgedacht habe. ...Mein Sohn ist Autist, ob ich es bin oder nicht, weiss ich nicht. Ich kann mich in meinen Sohn gut einfühlen , soviel weiss ich und versuche so barrierefrei wie es mir möglich ist und mir bewusst ist, seinen Alltag zu ermöglichen.
Ich habe sehr viel Mitgefühl für Deine Situation und kann mir , denke ich vorstellen, wie es Dir geht.
Wir haben vielleicht eine sogar ähnliche Situation , aber es ist jetzt etwas besser.
Ich habe anfangs als Mutter , durch meine Prägungen, die ich als Kind erfuhr, versucht, für die Gesellschaft angepasst zu funktionieren. Dementsprechend schrecklich war das für meinen Sohn. Er hat das durch Krankheiten am duetlichsten für mich gezeigt.Habe versucht in einer nichtautistischen Welt, Verständnis und Akzeptanz und Barrierefreiheit zu schaffen. Die ESH spielt dabei eine sehr hilfreiche und wichtige Rolle. (habe einige Institute und Vereine um Hilfe gebeten, die sich angeblich mit Autismus auskennen, aber eben alles Nichtautisten.)-OHNE ERFOLG-
Ich habe , dank meinem Sohn, sehr an mir gearbeitet und erkannt, dass jeder ein Recht hat so zu sein wie er ist. Die meisten NT , die ich kenne, leben nicht ihre Wahrheit. Sonder das was sie von klein an "programmiert" bekommen haben und merken meist gar nicht ,manchmal sehr spät,dass das nicht ihrer wahren Essenz, Frequenz, entspricht. Das heisst: Sie lassen sich leben und leben nicht sich selbst.
Oft sind die Sinne so abgestumpft, dass sie es nicht merken.Oder aus Angst ihre Gefühle unterdrücken.
Ich habe die Autisten, die ich kenne, als sehr feinsinnige, hochsensible Menschen kennengelernt.Die sehr verbunden sind mit Ihren Wahrnehmungen. Wenn sie dann angepasst der NT welt leben sollen, kann ja nur Krankheit und Depression entstehen.
Will sagen: Es kann nicht sein, dass feinfühlige Menschen, wie Autisten es sind, sich NT, die in Ihren Sinnen abgestumpft sind, anpassen müssen. Ich habe durch meinen Sohn erlebt, da ich ihn so sein lasse wie er ist, das viele NT dadurch an ihre Grenzen kommen, sich entweder aus unserem Umfeld verabschieden oder es als Wachstumschance nutzen um selbst wieder bewusster mit ihren Sinnen und Wahrnehmungen in Verbindung zu stehen und zuzulassen. Dadurch kann auch gegenüber Autisten ein anderes Verständnis entstehen.
Sehr hilfreich war und ist die ESH, die meinem Sohn eine Stimme gibt an Stellen, wo man ihn und mich als Mutter nicht hörn wollte oder konnte?
Ich habe erlebt, dass Menschen dann aufeinmal, ein anderes Verständnis bekommen und teilweise auch betroffen sind.
Bitte geb nicht auf, Du selbst zu sein, hol Dir wenn geht Stimmen, die dein Umfeld sensibilisieren könnten. Es wäre für die Menschheit eine grosse Bereicherung. Denn für mich geht es im Leben nur darum, man selbst zu sein. Und wenn man das tut, kann nur Achtsamkeit und wertschätzung füreinander dabei rauskommen.
...Entschuldigung an alle, wenn es wieder so ein langer Beitrag ist.Eigentlich wollt ich noch mehr schreiben weil das so ein wichtiges Thema ist, finde ich.
Ich hoffe, dass das was ich damit ausdrücken möchte so ankommt.
Herzliche Grüsse zz-freuen
04.11.11, 11:41:38
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Lenz2011
(Alien)

Eure Beiträge tun mir gut, vor allem der sehr persönliche von Schuschu.

Bei mir war es halt so, dass ich schon als Kind immer angehalten wurde möglichst problemlos zu funktionieren um meine alleinerziehende und berufstätige Mutter zu entlasten. Da das AS bei mir wohl auch nicht so extrem ausgebildet ist, habe ich das auch immer ganz gut hingekriegt. Ich hatte zwar immer schon das Gefuehl anders zu sein und mich verstellen zu muessen. Da ich diese Gefühl aber einerseits sehr lange überhaupt nicht einordnen und andererseits auch nicht wahr haben wollte, hab ich mich halt immer angepasst. Als ich dann vor 4 Jahren eine Psychotherapie wegen Depressionen begann, stellte ich fest, dass mich selbst der Therapeut nicht wirklich verstand, was ziemlich schlimm war. Dann wurde ich glücklicherweise auf AS aufmerksam und war wie elektrisiert als ich erkannte, daß damit auf einen Schlag mein Andres-Sein erklären ließ. Der Therapeut wollte aber von meinen Verdacht, Autist zu sein, nichts wissen. Also hab ich diverse Online Tests gemacht und mich dann auf eigene Initiative diagnostizieren lassen. Im ersten Moment war das positive Ergebnis zwar wie eine Erlösung, aber deswegen habe ich es noch lange nicht geschafft, mein Leben so umzustellen wie ich es eigentlich bräuchte. Gerade das Berufsleben ist von NT dominiert die bestimmte Dinge von mir erwarten. Ich habe da noch keinen Weg aus der Sackgasse gefunden.

Ich habe leider feststellen müssen, dass NT in der Regel überhaupt keine Ahnung von Autismus haben und sich da auch gar nicht reinversetzen können. Im weiteren Bekanntenkreis musste z.B. ein 16-jähriges Mädchen akut und fuer länger in die Uniklinik, da sie stark depressiv und sehr suizidgefaehrdet war. Die Diagnose lautete auch auf AS womit weder die Eltern noch deren Freunde was anfangen konnten, obwohl es ihnen sicherlich erklärt wurde und man im Internet genügend Informationen dazu finden kann.

In verschiedenen Foren bin ich auch auf die Meinung gestoßen, dass AS heute eine Art Modediagnose ist und dass sich diejenigen, bei denen AS so schwach ausgeprägt ist, dass sie berufstätig sein können und eine Familie haben, doch bitte nicht so anstellen sollen. Das hat mich sehr betroffen gemacht, denn der Preis den man für diese "Normalität" bezahlen muss ist auf die Dauer gesehen sehr hoch.

"Den 20. ging Lenz durch's Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter graues Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. .... Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte."
07.11.11, 20:34:52
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